Burg Hülshoff: Grünes Licht für den Ausbau

Beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) knallten vermutlich die Sektkorken, als der Brief aus Berlin eintraf: Für den Ausbau von Burg Hülshoff, dem Geburtsort der Dichterin westlich von Münster, schießt das Bundesbauministerium satte 4,6 Millionen Euro zu – und fördert das Projekt, über das ich hier ausführlich schrieb, damit fast in vollem Umfang.

Die Entscheidung, die Ministerin Barbara Hendricks heute offiziell bekanntgab, dürfte bei der Droste-Stiftung und deren federführendem Mitglied LWL große Erleichterung ausgelöst haben. Denn das, was die Stiftung an eigenen Geldern hat, reicht zwar, um den Betrieb von Burg Hülshoff und dem späteren Wohn- und Schreibort Rüschhaus wenige Kilometer aufrechtzuerhalten. Mehr aber auch nicht.

Burg Hülshoff auf einer Darstellung von Alexander Duncker aus dem 19.Jahrhundert und einem Foto, das ich 2015 gemacht habe – jeweils rechts ein Teil der Vorburg, die nun ausgebaut werden soll.

“Wir freuen uns sehr, weil jetzt der Ausbau losgehen kann”, kommentiert Barbara Rüschoff-Thale, die Vorstandsvorsitzende der Droste-Stiftung und Kulturdezernentin des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe, den positiven Förderbescheid. Vor rund einem Jahr hatte ich mich mit ihr,  LWL-Direktor Matthias Löb sowie dem Geschäftsführer der Droste-Gesellschaft, Jochen Grywatsch, auf Burg Hülshoff getroffen.

Die drei zeigten mir die Räumlichkeiten, führten mich auf abenteuerlich anmutenden alten Holztreppen hinauf ins Dach der Vorburg, wo die Dohlen hausen, und erläuterten mir, was genau sie vorhaben mit dem ehemaligen Wirtschaftsgebäude. Herzstück der Pläne ist ein Droste-Kulturzentrum: Die Vorburg wird Veranstaltungsstätte mit Platz für Ausstellungen, Lesungen, Konzerte und Workshops. Auch im Haupthaus, der eigentlichen Burg, soll sich einiges ändern. Das Museum wird modernisiert, und bislang der Öffentlichkeit verschlossene Räume sollen zugänglich gemacht werden.

Ende des Dornröschenschlafs

Demnächst also werden die Handwerker anrücken und mit Baulärm und emsigem Treiben den Dornröschenschlaf, in dem die Wasserburg zu liegen scheint, beenden. Man muss das nicht bedauern. Dieser Ort hat sich schon zu Lebzeiten seiner berühmten Bewohnerin immer wieder verändert. Ja, Annette von Droste schätzte die Beschaulichkeit, sie war tief verwurzelt im westfälischen Boden, sie hing am Althergebrachten – aber sie war auch offen für Veränderung und suchte ständig Wege, junge Künstlerinnen und Künstler zu fördern. Man darf annehmen, dass es ihr gefallen würde, wenn hier, an dem Ort, an dem sie ein Vierteljahrhundert lang lebte, schrieb und Verse in altem Gemäuer versteckte, nun eine Stätte für Literatur, Kunst und kulturelle Debatte entsteht. Um das Jahr 2020 herum könnte das Droste-Kulturzentrum in Vollbetrieb gehen. Dann wäre es dann fast genau 200 Jahre her, seit der frühe Tod des Vaters die junge Dichterin zum Auszug aus der idyllisch gelegenen Wasserburg zwang.

Zu hoffen ist, dass der Charakter des Ortes gewahrt bleibt. Wie ich die Akteure des Projekts einschätze, so werden sie dafür Sorge tragen. Ich bin sehr gespannt. Und werde ab und zu ins Münsterland reisen, um mir die Entwicklung vor Ort anzuschauen.

Ein Droste-Spaziergang durch Münster

Es wird mal wieder Zeit für Droste-Content. :)

So freundlich kann die Spinnlenor dreinblicken: Skulptur aus einem Droste-Gedicht. Bild: Monika Gemmer

So freundlich kann die Spinnlenor dreinblicken: Skulptur aus einem Droste-Gedicht. Bild: Monika Gemmer

Im Münsterland kann man der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff ja eigentlich nicht entgehen: Burg Hülshoff samt Park und der nicht weit entfernt liegende Witwensitz Rüschhaus stehen für Besucher*innen offen, ein Rad- und Wanderweg verbindet beide Wohnorte – künftig womöglich als Lyrikweg ausgebaut. Ihre Büste steht an der Kreuzschanze, einer Parkanlage an der Promenade. Münster hat eine Annette-Allee, die parallel zum Aa-See verläuft, ein Annette-Gymnasium und ein Droste-Zimmer im Stadtmuseum.

Einige Droste-Orte aber sind weniger bekannt. Zu ihnen führt mein kleiner Spaziergang durch die Innenstadt: Wohnorte von Freundinnen und Freunden, der Standort des Familien-Stadthauses und später der Münsteraner Mietswohnung, die Straße, in der sich damals die Leihbibliothek befand (deren Bestand Annette für nicht sonderlich brauchbar hielt). Die Ruhe- und Gedenkstätten von Droste-Vertrauten fand ich in einem Park, der früher ein Friedhof war.

Etwas außerhalb des Zentrum gibt es weitere Droste-Orte, die einen Ausflug wert sind. Auch sie habe ich unten näher beschrieben.

Die Stationen

1 Krummer Timpen

Die Adelsfamilie verschanzte sich nicht draußen auf dem Land, sondern verbrachte immer wieder Zeit in Münster. Man fuhr in die Stadt, um Besorgungen zu machen, um im Winter den morastigen Wegen rund um die Burg und das Rüschhaus zu entgehen, vor allem aber, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und Besuche bei Freundinnen, Freunden, Bekannten zu machen. Annettes Vater Clemens August von Droste-Hülshoff hatte das Haus am KrummenTimpen/Ecke Bäckergasse 1798 geerbt. Die Familie nutzte es bis 1818 als Stadthaus, dann verkaufte der Vater es. Schräg gegenüber wohnte der Droste-Freund Anton M. Sprickmann.

Überhaupt rede ich von dem Briefwechsel zwischen Münster und Berlin, als wenn ich nur den Bedienten aus unserm Hause im Krummen Timpen in Ihre gegenüber liegende Wohnung schicken dürfte.

Annette von Droste an Anton M. Sprickmann, Oktober 1818

  • Before-Stadthaus
    After-Stadthaus
    Droste-StadthausStadthausHeutige Ansicht

Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.

2 Pferdegasse 5
In der Pferdegasse 5 war wohl die Theissingsche Buchhandlung und Leihbibliothek, die auch Annette von Droste nutzte. Zumeist ließ sie sich die Bücher aber ins Rüschhaus mitbringen.

3 Rothenburg 28/29
Das war die Münsteraner Adresse von Elise Rüdiger, einer engen Freundin Annettes. Bei ihr traf sich sonntags die “Heckenschriftsteller-Gesellschaft”, ein literarischer Zirkel. Wenn Annette von Droste sich in Münster aufhielt, nahm sie sporadisch daran teil. Das Haus steht nicht mehr, an seiner Stelle ist heute das LWL-Museum für Kunst- und Kulturgeschichte zu finden.

Aus einem Fenster dieses Hauses beobachtete Annette von Droste am 11. Dezember 1837 besorgt den Aufruhr auf den Straßen Münsters, der sich an der Verhaftung des Erzbischofs von Köln entzündet hatte.

Dort, wo heute das LWL-Museum für Kunst- und Kulturgeschichte steht (dessen Besuch sehr empfehlenswert ist), wohnte Elise Rüdiger, eine der engsten Freundinnen Annettes von Droste und Gastgeberin eines literarischen Zirkels, an dem sich auch die Dichterin beteiligte. Bild: Monika Gemmer

Dort, wo heute das LWL-Museum für Kunst- und Kulturgeschichte steht (dessen Besuch sehr empfehlenswert ist), wohnte Elise Rüdiger, eine der engsten Freundinnen Annettes von Droste und Gastgeberin eines literarischen Zirkels, an dem sich auch die Dichterin beteiligte. Bild: Monika Gemmer

4 Rothenburg 32
Hier wohnte um 1840 die Geheimrätin Karoline Lombard, eine weitere Freundin der Droste. Im Nachbarhaus rechts daneben, der Nummer 33, wurde 1835 Hermann Landois geboren. Der spätere Gründer des Zoos in Münster war um 1845 als Zehnjähriger einmal zu Besuch bei Therese und Annette von Droste im Rüschhaus.

5 Salzstraße / Prinzipalmarkt
Luise von Bornstedt, eine Bekannte der Droste, wohnte im Eckhaus Salzstraße/Prinzipalmarkt.

6 Salzstraße
Ab 1837 nutzt die Familie Droste im Winter eine Mietwohnung in der Salzstraße beim Schneider Engelbert Ahlers. In der Salzstraße Nr. 57 hatte zu Annettes Zeiten der Verlag Aschendorff seinen Sitz , in dem sie 1838 ihren ersten Gedichtband veröffentlichte.

Heutiges Gebäude am früheren Standort des Verlags Aschendorff in der Salzstraße 57. Bild: Monika Gemmer

Heutiges Gebäude am früheren Standort des Verlags Aschendorff in der Salzstraße 57. Bild: Monika Gemmer

7 Stadtmuseum
Hier bietet sich ein Schlenker zum Stadtmuseum Münster an, wo die Geschichte der Stadt, darunter die Ereignisse zur Droste-Zeit, anschaulich erzählt wird. Im (leider ein wenig lieblos eingerichteten) “Droste-Zimmer” kann man sich Gedichte, Kompositionen und Briefauszüge anhören.

8 Alter Steinweg
Nach dem Verkauf des Hauses am Krummen Timpen miete die Familie Droste ab 1818 eine Wohnung am Alten Steinweg 16. Das Haus gehörte dem Postmeister Hermann Joseph von Hamm.

9 Promenade
Der ehemalige Befestigungsring rund um die Innenstadt, heute als “Fahrradautobahn” bekannt, war schon zu Zeiten der Droste zurückgebaut und diente als Spazierfläche. Die Lindenallee, die ab 1770 entstand, plante derselbe Architekt, der auch das Rüschhaus bauen ließ: Johann Conrad Schlaun. Auf der Promenade war für Annettes Geschmack zu viel Menschengewimmel. Sie schrieb einmal an Schlüter: “…vor Ihrem Mauritztore, wo die halbe Stadt promeniert, allen Staub lebendig und alle Vögel stumm macht…”

Hörster Friedhof: Gedenkstein für Clemens Maria Franz von Bönninghausen. Bei dem Homöopathen war Annette von Droste in Behandlung. Bild: Monika Gemmer

Hörster Friedhof: Gedenkstein für Clemens Maria Franz von Bönninghausen. Bei dem Homöopathen war Annette von Droste in Behandlung. Bild: Monika Gemmer

10 Hörster Friedhof
Auf dem ehemaligen Hörster Friedhof, heute eine Grünanlage, befanden sich die Grabstätten von Christoph B. Schlüter (Mentor), Clemens von Bönninghausen (Homöopath) und Johann Hermann Hüffer (Herausgeber des ersten Gedichtbandes). Hüffers Grabstein findet sich im Süden des Areals. Der Grabstein von C.B. Schlüter und die Gedenkstele für C. von Bönninghausen auf der nördlichen Seite.

Hörster Friedhof: Grab von Christoph B. Schlüter, literarisch-philosophischer Gesprächspartner der Droste, der auch ihre erste Gedichtausgabe von 1838 betreute. Bild: Monika Gemmer

Hörster Friedhof: Grab von Christoph B. Schlüter, literarisch-philosophischer Gesprächspartner der Droste, der auch ihre erste Gedichtausgabe von 1838 betreute. Bild: Monika Gemmer

11 Hörsterstraße 54
Hier wohnte Levin Schücking – nicht nur zu Lebzeiten Annettes, sondern auch in späteren Jahren, wenn er sich in Münster und nicht auf seinem Gut in Sassenberg aufhielt.

Hier wohnte Levin Schücking - nicht nur zu Lebzeiten Annettes, sondern auch in späteren Jahren, wenn er sich in Münster und nicht auf seinem Gut in Sassenberg aufhielt. Bild: Monika Gemmer

Hier wohnte Levin Schücking – nicht nur zu Lebzeiten Annettes, sondern auch in späteren Jahren, wenn er sich in Münster und nicht auf seinem Gut in Sassenberg aufhielt. Bild: Monika Gemmer

12 Alter Fischmarkt
In dieser Straße wohnte Christoph Bernhard Schlüter, der die erste Gedichtausgabe der Droste betreute und eine Zeitlang wichtiger literarischer Ansprechpartner war. Später zog er in den Alten Steinweg 11. Sein Haus dort steht nicht mehr.

13 Überwasserkirche

In die Kirche nordwestlich des Doms (jenseits der Aa, daher der Name Überwasser) kam die Familie Droste-Hülshoff gewöhnlich am Karfreitag.

Die Lambertikirche in Münster. Bild: Monika Gemmer

Die Überwasserkirche in Münster. Bild: Monika Gemmer

Bonusausflüge

Praktisch: Mit der Buslinie 16 lassen sich zwei Orte etwas außerhalb des Zentrum ansteuern, die im Leben der Dichterin eine Rolle gespielt haben.

Gartenwirtschaft Lohmann

Zusammen mit ihrem Mentor Anton Mathias Sprickmann suchte Annette von Droste die Gartenwirtschaft Lohmann, damals vor den Toren der Stadt gelegen, auf.

In die damaligen Gartewirtschaft Lohman, zu Droste-Zeiten vor den Toren der Stadt gelegen, kehrte die Dichterin zusammen mit ihrem Bekannten Anton Sprickmann gerne ein. Heute heißt das Lokal Sandruper Baum. Bild: Monika Gemmer

In die damaligen Gartewirtschaft Lohman, zu Droste-Zeiten vor den Toren der Stadt gelegen, kehrte die Dichterin zusammen mit ihrem Bekannten Anton Sprickmann gerne ein. Heute heißt das Lokal Sandruper Baum. Bild: Monika Gemmer

Die Gaststätte gibt es noch, sie heißt heute Sandruper Baum und liegt an der Sprakeler Straße 90. Erreichbar ist sie mit der Buslinie 16, Ausstieg an der Station Schlusenweg.

… meine Augen fallen zu, und doch kann ich mich kaum von diesem Blatte trennen, Ihr liebes Bild aber will ich mit mir nehmen, und einen freundlichen, teuren Traum daraus bilden, wie wir wieder zusammen in Lohmanns Garten in der Laube sitzen, wo ich jetzt so oft vorbei fahre und sehe niemand darin, was mir freilich noch zehnmal lieber ist, als wenn stattdessen aus der lieben grünen Hütte ganz unbekannte oder gleichgültige Gesichter herausguckten.

Annette von Droste an Sprickmannn, Oktober 1818

Schloss Wilkinghege

Das Anwesen hatten Annettes Bruder Werner und seine Familie kurzzeitig gepachtet, bevor dieser 1826 nach dem unerwarteten Tod des Vaters Burg Hülshoff als Alleinerbe übernahm. Heute ist es ein Hotel. Die Buslinie 16 hält an der Station Wilkinghege.

Schloss Wilkinghege. Bild: Monika Gemmer

Schloss Wilkinghege. Bild: Monika Gemmer

Roxel

Erstmal musste ich die richtige Aussprache lernen: Meine Zimmerwirtin korrigierte mich unauffällig, als ich “Rocksel” sagte, und wiederholte: “Roksel”, mit Betonung auf dem O. Hier also, in den heutigen Münsteraner Stadtteil im Westen, findet sich ein weiteres Ausflugsziel für Droste-Freundinnen.

Die Kirche Sankt Pantaleon in Münster-Roxel: Annette von Drote vertrat hier den Organisten. Bild: Monika Gemmer

Die Kirche Sankt Pantaleon in Münster-Roxel: Annette von Drote vertrat hier den Organisten. Bild: Monika Gemmer

Annettes Vaterhaus gehörte zur Kirchgemeinde von Roxel. Die Familie kam zu Gottesdiensten immer wieder in die Roxeler Kirche St. Pantaleon, 1813 vertrat Annette dort sogar den Organisten. Ihr Vater war 1806 von den Franzosen zum Bürgermeister von Roxel ernannt worden – das Amt hatte er acht Jahre inne. Auf dem Marktplatz erinnern Skulpturen an die Dichterin: Sie stellen den Fiedler Knauf, den Heidemann und die Spinnlenor dar, Gestalten aus dem Gedicht “Der Knabe im Moor”. Die Adresse: St. Pantaleon, Pantaleonstraße 2.

Protagonisten aus dem "Knaben im Moor": Fiedler Knauf, Heidemann und Spinnlenor. Bild: Monika Gemmer

Protagonisten aus dem “Knaben im Moor”: Der diebische Fiedler Knauf, Geigemann Ungetreu und die Spinnlenor. Bild: Monika Gemmer

Droste-Stadtrundgang durch Münster

Beschreibung, Karte und Bilder Droste-Stadtrundgang durch Münster als PDF.

Karte und Droste-Orte mit Anfahrtsbeschreibung finden sich auch in der kostenlosen Web-App “Droste to go”.

Annie Leibovitz’ Frauenporträts in Frankfurt

Unter der Honsellbrücke bilden sich derzeit an den Wochenenden lange Schlangen: Viele wollen die Fotografien von Annie Leibovitz sehen. “Women: New Portraits” ist eine Wanderausstellung, die an nur zehn Orten der Welt Station macht, davon nur eine in Deutschland – in den Hallen des Kunstvereins Familie Montez in den Brückenbögen im Frankfurter Ostend. Der Eintritt ist frei.

"Women: New Portraits" von Annie Leibovitz sind noch bis 6. November in den Bögen der Honsellbrücke im Frankfurter Ostend zu sehen.

“Women: New Portraits” von Annie Leibovitz sind noch bis 6. November in den Bögen der Honsellbrücke im Frankfurter Ostend zu sehen.

Die neuen Fotografien setzen ein Projekt fort, das die heute 67-jährige US-amerikanische Fotografin 1999 begonnen hat. Im Laufe ihres bewegten Berufslebens hat Annie Leibovitz viele Frauen vor die Kamera bekommen: Politikerinnen wie Hillary Clinton, Geschäftsfrauen wie Sheryl Sandberg, Künstlerinnen wie Patti Smith, Forscherinnen wie Jane Goodall, Schauspielerinnen wie Meryl Streep, Aktivistinnen wie Malala Yousafzai.

In einem Interview hat sie einmal gesagt, dass ihr meist nur eine Viertelstunde bleibt für ein Fotoporträt – wenn das zutrifft, sind ihre Bilder umso gründlicher vorbereitet, denn Annie Leibovitz inszeniert Menschen in einer Weise, bei der kein Detail dem Zufall überlassen scheint. Malala, die ein Attentat der Taliban überlebte und seither umso lauter für das Recht der Mädchen auf Bildung streitet, steht mit gefalteten Händen in einem Klassenzimmer, das wirkt, als seien die Schulkinder gerade erst herausgestürmt. Adele lehnt mit geschlossenen Augen an einem Klavier, eine Hand auf den Tasten. Elizabeth II. steht, zur Seite blickend, in einem Saal des Palastes, sie selbst und alles Inventar sieht aus wie gemalt. Die Tennisprofis Venus und Serena Williams legen schützend ihre durchtranierten Arme umeinander. Die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ist in einem klassischen Porträt festgehalten, ebenso die Primatologin Jane Goddall. Das Foto von der Frauenrechtlerin und Anwältin Andrea Medina Rosas erweckt den Eindruck, als habe Annie Leibovitz sie nach Feierabend auf dem Heimweg abgepasst.

Auch ältere Bilder sind zu sehen, so das Coverfoto von John Lennon, der sich nackt an die bekleidete Yoko Ono schmiegt, entstanden wenige Stunden vor seiner Ermordung, und natürlich eine Aufnahme von Susan Sontag, der Lebensgefährtin von Annie Leibovitz – entstanden zu Lebzeiten der Publizistin. Für das Veröffentlichen von Fotos, die Leibovitz von ihrer sterbenskranken und schließlich toten Freundin gemacht hat, ist sie von unter anderem von Susan Sontags Sohn heftig angegriffen worden.

Im ersten Ausstellungsraum liegen Bildbände aus, es gibt Sitzgelegenheiten, um in Ruhe darin zu blättern. Der zweite Raum präsentiert die Fotos digital auf großen Bildschirmen und ausgedruckt an einer Stellwand. Wenn man sie mit dem am Eingang erhältlichen Flyer in der Hand abschreitet, bekommt man biografische Informationen zu Annie Leibovitz’ Protagonistinnen.

Die Ausstellung ist noch bis zum 6. November 2016 in Frankfurt zu sehen.

Durchs Frankfurter Städel des 19. Jahrhunderts laufen

Das Städel Museum von 1878. Bild: Städel Museum

Das Städel Museum von 1878. Bild: Städel Museum

Ich stehe vorm Eingang des Städel Museums am Schaumainkai, und der Boden unter meinen Füßen verschwindet. Der gepflasterte Fußweg, die beidseits auf die Treppen des Portals zuläuft, ist weg. Auch die Skyline auf der anderen Seite des Mains ist nicht mehr da. Das Museum selbst wirkt äußerlich unverändert, Dürer und Holbein stehen an ihrem gewohnten Platz und empfangen die Besucherin des Jahres 1878 als Statuen links und rechts über dem Eingang – ganz so wie heute.

Die VR-Brille drückt ein wenig – das liegt daran, dass ich darunter meine normale Brille trage. Was ich sehe, ist aber so realistisch, dass ich das umgeschnallte Ding auf meinem Kopf schnell vergesse. Ich befinde mich im Jahr 1878, der Museumsneubau am Ufer ist soeben eröffnet worden. Ich trete ein, um mir das Haus so anzuschauen, wie es zur Einweihung aussah, und die Gemäldegalerie jener Zeit exakt so vorzufinden, wie sie damals konzipiert war.
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