Vor wenigen Jahren geriet die ostwestfälische Kreisstadt Höxter in die Schlagzeilen. In einem Mietshaus im Ortsteil Bosseborn (das die Boulevardpresse, als sei alles noch nicht grausig genug, das „Horrorhaus von Höxter“ nennt) sollen ein Mann und seine frühere Ehefrau mehrere Frauen festgehalten und schwer misshandelt haben. Zwei der Opfer starben. Der Prozess läuft noch.
Es ist nicht der erste lokale Kriminalfall, der weit über die Region hinaus von sich reden macht. Unweit von Bosseborn geschah gut 230 Jahre zuvor ein Mord, der in die Literaturgeschichte eingehen sollte: Ein jüdischer Händler wird erschlagen, der mutmaßliche Täter flieht, kehrt 23 Jahre später zurück – und erhängt sich an eben jenem Baum, an dem die Mordtat geschehen war, der „Judenbuche“. Weiterlesen →
Neun Reisen unternimmt Annette von Droste-Hülshoff im Laufe ihres Lebens in die ostwestfälische Heimat der Großeltern. Bild: Monika Gemmer
Drei Orte in Deutschland sind eng mit Annette von Droste-Hülshoff verknüpft: Das Münsterland, wo sie geboren wurde, der Bodensee, wo sie starb – und das Paderborner Land, die Heimat ihrer Mutter. Auf der persönlichen Landkarte meiner Droste-Reisen war die Gegend rund um Brakel zwischen Paderborn und Höxter in Ostwestfalen, wo Annette jede Menge Verwandtschaft hatte, bislang ein weißer Fleck.
2018 ist ein guter Zeitpunkt, um das zu ändern – und ins Jahr 1820 zurückzureisen. Weiterlesen →
Alle zehn Jahre verwandelt Münster sich für etwa 100 Tage in ein großes Freiluft-Museum. Überall in der Stadt sind dann Kunstwerke zu finden: Skulpturen, Plastiken, Bilder, Bauwerke, Installationen bereichern Parks, Straßen, Plätze, Gebäude, Industrieflächen, sogar das Wasser im Hafen. “Skulptur Projekte” heißt das Ereignis, das 2017 zum fünften Mal stattfindet – und eines der schönsten Geschenke zum meinem Geburstag war die Reise zu diesem Event inklusive sachkundiger Führung mit einer Expertin.
Da lang zur Skulptur!
Um die “Skulptur Projekte” auf die Beine zu stellen, lädt Münster Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt ein, sich in der Stadt umzuschauen, sich einen Standort auszusuchen und ein temporäres Kunstwerk für genau diesen Ort zu schaffen. 40 Künstler*innen sind der Einladung diesmal gefolgt, gut drei Dutzend Werke realisiert worden – die meisten unter freiem Himmel, an öffentlich zugänglichen Plätzen, denn die Kunst soll zu den Menschen kommen. Allerdings: In Münster haben die Leute nicht gerade darum gebeten. Weiterlesen →
Trauer oder Glückseligkeit, Schuldgefühle oder Leidenschaft: Der Mann schreibt sich sein Leben lang alles von der Seele, was er empfindet. Lyrik für die Heimat, Liebesgedichte für die Ehefrau (und für die Geliebte), Märchen für seine insgesamt acht Kinder – und Novellen für sich selbst: Sie handeln oft von seinen größten Ängsten, von Vergänglichkeit, Verlust, Zerfall und Tod. Für den zu Depressionen neigenden Theodor Storm ist das Schreiben immer auch eine Selbsttherapie. Weiterlesen →
Mist, knapp daneben!, dachte ich im ersten Moment, als ich sah, dass bei der Verleihung der Grimme Online Awards in der Kölner Flora der Morgenmagazin-Moderator Mitri Sirin erschien – und nicht seine Kollegin Dunja Hayali. ;) Und das war kein bisschen gerechtfertigt, denn Mitri Sirin erwies sich als äußerst freundlicher, kein bisschen arroganter, dafür aber kluger und engagierter Laudator. Ein guter Griff des Grimme-Instituts, wie überhaupt die Laudator*innen des Jahrgangs 2017 fast durchweg gut ausgewählt waren. Neben Sirin traten unter anderem Friedrich Küppersbusch, Oliver Wnuk und Pinar Atalay als Preispaten auf.
Die Flora in Köln
“Ich habe syrisch-türkische Wurzeln, und ich habe eine autistischen Sohn”, begann Mitri Sirin seine Laudatio. “Ich habe also einige Erfahrung mit den Themen Integration und Inklusion.” Und er betonte den Unterschied: Integration braucht Bewegung in beide Richtungen, Inklusion hingegen ist eine Einbahnstraße. Die ohne Beeinträchtigung haben sich auf die mit Beeinträchtigung einzustellen, nicht umgekehrt.
Die mit den Händen tanzt
Die Laudatio hielt Sirin auf Die mit den Händen tanzt, eine Webreportage des HR mit und über Laura M. Schwengber. Sie übersetzt Musik in Gebärdensprache – ja, das geht, schaut euch das unbedingt an!
Der Wochenendrebell
Etliche Podcasts habe ich in der Sichtungsphase für die Arbeit in der Nominierungskommission gehört, und einige hatten echt Längen – buchstäblich. Dieser aber hat mich gepackt und begeistert: Der Radiorebell ist der begleitende Podcast des Blogs Wochenendrebell.
Mirco von Juterczenka klappert seit Jahren mit seinem an Asperger-Autismus erkrankten Sohn die Fußballstadien der Republik ab, um eine Entscheidungsgrundlage für die Frage nach dem Lieblingsverein zu schaffen, und bloggt darüber. Ein Beziehungsprojekt ist daraus geworden, und inzwischen füllen Vater und Sohn mit dem Podcast Radiorebellen ein weiteres Format. Für jede Episode ziehen sie ein Thema aus der Lostrommel und – reden miteinander.
Nehmt euch die Zeit und hört euch zum Beispiel diese Episode an, in der Jay-Jay selbst, aber auch sein Vater davon erzählen, was Asperger-Autismus für das tägliche Leben der Familie bedeutet.
Jay-Jay hat ein Wort erfunden, das er dem Begriff “Behinderungen” an die Seite stellt: “Behilflichkeiten”. Das sind die Fähigkeiten, die der Autismus ihm ermöglicht, und die andere nicht haben.
Wenn man den Podcast hört, spürt man: In dieser Beziehung ist der Sohn der Chef. Er entscheidet, wie das Gespräch verläuft und über welche Nebengleise das ausgeloste Thema führt. Der Vater nimmt seinen Sohn ernst. Selbstbestimmtheit scheint ein zentrales Element im Zusammenleben dieser Familie. Und eben die war auch zu sehen, als Vater und Sohn auf der Bühne in der Kölner Flora den Grimme Online Award in Empfang nahmen. Vater Mirco trat in den Hintergrund, als Jay-Jay entschied, die Fragen der Moderatorin selbst zu beantworten – und der Zwölfjährige nutzte das auch, um uns, die NomKom und die Jury, für unsere Kategorisierung von wochenendrebell.de zu rügen. “Kultur und Unterhaltung” passe ja überhaupt nicht, meinte Jay-Jay, der kundig über Physik, Mathematik und schwarze Löcher zu sprechen weiß. “Wissen und Bildung” fände er angemessener.
Eine der Äußerungen aus der oben verlinkte Episode, die mir im Gedächtnis blieb, war übrigens diese:
“Unsere Welt ist viel zu groß und viel zu interessant, um die gesamte Kindheit nur Fußball zu spielen. Ich war auf fast jeder Kontinentalplatte unserer Erde. Das ist eine erfüllte Kindheit.”
#ichbinhier
Und dann sind da noch jene rund 35.000 Preisträgerinnen und Preisträger, die in der Kategorie “Spezial” ausgezeichnet wurden: Über den Grimme Online Award für die Facebook-Gruppe #ichbinhier freue ich mich total (und bin so froh, dass ich den Vorschlag ins Gremium getragen habe). Die Mitglieder von #ichbinhier gehen gezielt in Diskussionen, wo Hasskommentare einen Anteil von 50 oder mehr Prozent haben. Dort versuchen sie, die Debatte zu versachlichen, sprechen Hater direkt an, stellen ihnen Fragen und beziehen Position gegen Rassismus, Sexismus, Menschenverachtung. Eine wichtige Intervention und vermutlich weitaus sinnvoller als jedes Netzwerkdurchsetzungsgesetz. In Köln auf der Bühne standen stellvertretend Hannes Ley, der die Initiative aus Schweden für Deutschland adaptierte, und Tom Keller, einer der Administratoren.
Die Arbeit der Gruppe wird von bestimmter Seite als Propaganda und konzertierte Beeinflussung des Meinungsbildes diskreditiert. Der Vorhalt folgte denn auch prompt nach der Bekanntgabe der Auszeichnung – und wie einige Mitglieder der Gruppe hier darauf reagieren, mag exemplarisch stehen für die Vorgehensweise, die auch Tom Keller empfahl: Jemand verbreitet Hass und Vorurteile? Stell ihm (oder ihr) sachliche Fragen, gib ihm (oder ihr) die Chance, noch einmal nachzudenken. Manchmal hilft’s.