Rahel Levin Varnhagen und der “deutsche Empörungsmut” gegen Jüdinnen und Juden

Heine nannte sie die “geistreichste Frau des Universums”, Goethe eine “schöne Seele”, die Salonière selbst rühmte ihr Talent zur gesellschaftlichen Konversation. Mit ihrer jüdischen Herkunft haderte sie – weil sie sie zur Außenseiterin machte. Heute vor 250 Jahren wurde Rahel Levin geboren. 

Das genaue Datum ihres Geburtstages im Jahr 1771 kannte Rahel Levin nicht. Sie wusste nur, dass sie in der Nacht vor Pfingsten zur Welt gekommen war – und feierte daher ihren Geburtstag immer zusammen mit dem christlichen Fest. Erst später hat man errechnet, dass es der 19. Mai war, als Rahel in eine wohlhabende jüdische Familie hineingeboren wurde.

Rund 4000 Jüdinnen und Juden lebten um 1800 in Berlin. Die Levins gehörten zu den Familien, die im Besitz des  Königlichen Generalprivilegs waren, eines Schutzbriefes, der ihnen gewisse Niederlassungsrechte einräumte. Doch von einer rechtlichen Gleichstellung, von einer gesellschaftlichen Anerkennung waren auch sie weit entfernt.

Porträt Rahel Varnhagen. Lithographie (1834) von Gottfried Küstner nach Moritz Daffingers Pastell von 1818
Porträt Rahel Varnhagen. Lithographie (1834) von Gottfried Küstner nach Moritz Daffingers Pastell von 1818. Quelle: Wikimedia Commons

Die älteste Tochter hat das früh gespürt. Im Laufe ihres Lebens kommt sie immer wieder auf den “Makel” zu sprechen, als den sie ihr Jüdischsein empfindet. Sie hadert mit ihrer Herkunft, fühlt sich als “Falschgeborene”: „Was ist es garstig, sich immer erst legitimieren zu müssen! Darum ist es ja nur so widerwärtig, eine Jüdin zu sein!”

In ihren Salon in Berlin, den sie  – ungewöhnlich – als ledige Gastgeberin ab etwa 1793 in der Jägerstraße führt, strömen sie dennoch zuhauf, die Künstler*innen und Geistesgrößen dieser Zeit: Denker wie Friedrich Schleiermacher, Friedrich Schlegel, die Humboldts, Schauspielerinnen wie Friederike Unzelmann, Diplomaten und Politiker wie Friedrich Gentz, Gualtieri, Louis-Ferdinand von Preußen,  Schriftstellerinnen und Salonièren wie Henriette Herz und Dorothea Veit, die spätere Dorothea Schlegel. Man könnte glatt auf die Idee kommen, der Erfolg der jüdischen Salons in Berlin um 1800, der Zeit der Frühromantik, wäre ein Zeichen: für die Emanzipation der Jüdinnen und Juden, für eine wachsende Anerkennung in der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft, repräsentiert durch die “Habitués”, die Salongäste … Tatsächlich aber war es wohl eher so, dass diese sich zwar gerne von Rahel Levin, Henriette Herz oder anderen jüdischen Salonièren bewirten ließen, außerhalb dieser Zirkel aber keinerlei Drang verspürten, der herrschenden Judenfeindlichkeit entgegenzutreten. Im Gegenteil, einige, wie Friedrich Gentz, Ludwig Tieck oder Clemens Brentano, äußerten sich antisemitisch. Wilhelm von Humboldt sagte von sich: „Ich liebe die Juden eigentlich auch nur en masse, en détail gehe ich ihnen sehr aus dem Wege.“

Weiterlesen →
Wintertag am Dorfrand

Danke, 2020

Was bleibt von diesem Jahr, dessen Ende viele so sehnlichst herbeiwünschen? Was bleibt von den Erkenntnissen des Frühjahrs, als viele Menschen merkten und mitteilten, dass sie der Pandemie bei allem Unglück auch etwas Positives abgewinnen können – Entschleunigung, Besinnung, geänderte Prioritäten, die Erfüllung eines Urlaubs in den heimischen Wäldern statt in irgendeinem Resort auf einem anderen Kontinent, dessen austauschbare Freizeitangebote vergessen machen, in welchem Land man sich eigentlich aufhält?

Ich wäre gerne optimistisch und würde gerne glauben, dass wenigstens etwas davon die Zeit der Pandemie überdauert. Und wenn es nur die Dankbarkeit ist. Davon hat sich bei mir viel angesammelt. Weiterlesen →

Lichter

 

Das schönste Licht ist das am Ende des Tunnels. Wenn die Sorgen um einen Menschen einer begründeten Hoffnung weichen, dass die Zeit des nächtlichen Aufschreckens beim Handyklingeln, der Anrufe beim Rettungsdienst, des Vom-Bett-ins-Auto-Springens, des Wartens morgens um 6 auf dem Hartschalensitz einer Notaufnahme  erst einmal zuende ist. Weil die Werte sich bessern, die Medikamente zu wirken beginnen, die akuten Beschwerden abklingen. Inzwischen sehen wir nicht nur das Licht – wir sind wohl wirklich raus aus dem Tunnel. Klar: Wann der nächste auf unserer Strecke kommt, weiß niemand.  Aber hier und jetzt haben wir ihn hinter uns, und das lässt mein Herz singen.

Draußen verändert sich derweil die Landschaft. Rund um unser Dorf sind seit Wochen die Mähdrescher unterwegs, in eine Wolke aus Getreidestaub gehüllt, die mit ihnen übers Feld wandert. Bis spät nachts sehen wir ihre Scheinwerfer auf der Anhöhe gegenüber. Die Wintergerste ist eingefahren, Weizen und Sommergerste sind so gut wie abgeernet, auch der Roggen ist fällig. Körnermais und Hafer haben noch Zeit zu reifen, doch davon gibt es hier nicht so viel. Weiterlesen →