Heute habe ich meine Postadresse aus dem Impressum mehrerer privater Websites entfernt.
Und das kam so.
Als ich dieser Tage zu Fuß in der östlichen Nachbarstadt unterwegs bin, werde ich auf unangenehme Art an zwei Binsenweisheiten erinnert:
1.) Rechne immer mit allem.
2.) Sogar damit, dass dir auch auf einer belebten Straße niemand hilft, wenn du angegriffen wirst.
Die Verblüffung ist größer als der Schmerz, als mir der Mann, der zufällig neben mir geht, erst die Mütze vom Kopf reißt und mir dann ohne Vorwarnung mit voller Wucht ins Gesicht schlägt. Ein bisschen wie in Zeitlupe sehe ich die Brille von meiner Nase fliegen und auf dem regennassen Straßenpflaster aufschlagen. Die ist bestimmt hinüber, denk ich, und noch während ich zu Boden blicke, höre ich in der Nähe eine Männerstimme sagen: “Na na. Ganz ruhig bleiben.”
Ok, denke ich. Alles wird gut. Was auch immer hier gerade passiert: Es ist hellichter Tag, und um mich herum sind jede Menge Leute. Mindestens einer davon wird sich gleich zwischen mich und diesen Typen schieben.
Aber niemand tut das.
Ich sehe nicht viel, die Brille ist weg, der Regen klatscht mir ins Gesicht, ich weiß auch nicht, wer eben “Na na” gesagt hat, gerade so, als sei ein Kind unartig gewesen oder als müssten zwei aggressive Hunde voneinander getrennt werden. Aber diesen Typen sehe ich, denn er steht direkt vor mir, in einer ausgeblichenen rötlichen Jacke. “Was soll das”, schreie ich ihn an und hoffe zugleich, dass sich der Boden auftut und mich sicher verschluckt. Oder nein, dass sich der Boden auftut und diesen Typen verschluckt. Aber er glotzt nur. Und dann geht er. Der Mann, der gerade auf mich eingedroschen hat, schlendert einfach weiter. Genau in die Richtung, in die ich auch muss.
Ich bin völlig perplex, sammle meine Brille auf und meine Mütze, schaue in die Menschenmenge, die sich vor mir bewegt. Dann seh ich darin die rötliche Jacke. Der Typ ist ungefähr 20, 30 Meter von mir entfernt stehengeblieben und beobachtet mich. Als er sieht, dass ich nach meinem Handy greife, kommt er zurück.
Drei Meter von mir hält ein Taxi, die ältere Dame, die es offenkundig bestellt hat, macht sich auf den Weg zur Autotür. Ich denke kurz daran, einfach einzusteigen und den Fahrer zu bitten, die Türen zu verriegeln. Da ist der Schlägertyp auch schon bei mir. Und entschuldigt sich. Es täte ihm leid. Ob ich jetzt die Bullen anrufen würde? Er greift nach meinem Gesicht, ich weiche zurück. “Du hast da Blut. Mach das ma weg.” Ich fasse mir ins Gesicht: Der Nasenbügel der Brille hat einen Kratzer hinterlassen. “Du rufst jetzt aber nicht die Bullen an, oder? Tut mir echt leid. Ich bin betrunken. Bist du mir jetzt böse?”
Ja! Ich bin böse!
Vor allem, weil ich mich so verdammt hilflos fühle. Weil irgendein beschissener Typ meint, er könne einfach mal zuschlagen, wenn ihm in seiner alkoholbematschten Birne danach zumute ist, und weil er dabei sicher sein kann, dass ihm selbst auf einer belebten Straße niemand in den Arm fällt oder ihn wenigstens zur Rede stellt. Ja, ich bin böse! Nicht so sehr, weil ich zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen bin, sondern weil dieser Ort jederzeit überall sein kann. Und weil ich, während ich “Ja, bin ich” zu ihm sage, mich sofort frage, ob das womöglich die falsche Antwort war, und was er wohl tut, wenn ich tatsächlich die Polizei verständige. Weil ich beim Versuch, ihm mit der Polizei zu drohen, wenn er mich nicht augenblicklich in Ruhe lässt, so bedächtig auf ihn einrede wie auf einen pubertierenden Bub, dem man keinen Anlass geben will, gleich wieder auszuflippen. Das alles macht mich – böse!
Auf dem Heimweg überlege ich kurz, tatsächlich zur Polizei zu gehen. Aber mir fehlt jede Lust, die nächsten Wochen in der Angst zu leben, dass der Typ mir vor meiner Wohnung auflauert. Zuhause entferne ich meine Anschrift aus dem Impressum mehrerer privater Seiten – ich habe keine Ahnung, ob das was nutzen würde, aber mir ist etwas wohler dabei. Ich mache mir keine Illusionen: Anonym werde ich im digitalen Zeitalter nicht mehr – wenn ich das wollte, wäre ich es. Aber ich beschließe, dass es ab sofort auch ohne ladungsfähige Anschrift im Impressum geht.
(Ob es das Impressum hier überhaupt noch braucht, darf – nach dem, was Udo Vetter auf der jüngsten re:publica erläutert hat – ohnehin bezweifelt werden.)