Erinnerungslücken

Manchmal erweist es sich als Glück, nach einer freundlich an mir vorbei gerollten Grippewelle doch noch von einem Virennachzügler erwischt und niedergestreckt zu werden – jedenfalls, wenn man dadurch manches unsäglich bewusstlose Geschwätz in der (Blogger-)Dorfkneipe verpasst.
Blöd nur, wenn man, noch antibiotikumumnebelt, dann doch mal eben den Kopf zur Tür reinstreckt. Schon ist die österliche Ruhe dahin.

Dabei ist die Meinung, die Lila so aufbringt, doch nur die vereinzelter Schafe – allerdings in einer täglich wachsenden Herde. Schluss mit dem Schuldkult! heißt die Parole. Die NPD hat sie vorgegeben, und viele – auch solche, die mit den Rechten nach eigenem Bekunden gar nichts am Hut haben – blöken es nach. Das Futter wird knapp, der Daseinskampf härter – die Erinnerung an den Holocaust zum Luxus. Von Auschwitz, Buchenwald und Treblinka fühlen wir uns nurmehr belästigt.

Wir beklagen, dass unsere Lehrer uns lange genug mit diesem unangenehmen Thema behelligten – und haben doch bis heute nicht mal den Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung gelernt.

Wir lassen uns von Filmen aus Sicht der Opfer nicht mehr hinter dem Ofen hervorlocken – es muss schon die Täterperspektive sein, damit wir uns noch für das Thema erwärmen.

Wir argumentieren, dass Amerikaner sich schließlich auch nicht ständig mit Hiroshima befassen würden. Und glauben allen Ernstes, dies sei eine nachahmenswerte Haltung.

Wir behaupten, dass Deutschland nicht mit der notwendigen Tatkraft seine Zukunft gestalten könne, wenn sich die Deutschen mit ihrer Vergangenheit befassen, und bezeichnen Erinnerungen als Störsignale. Dabei begreifen wir nicht, dass ein Deutschland, das seine Geschichte vergisst, erst recht ohne Zukunft dasteht. Patriotisch ist das nicht gerade.

Und das wollen wir doch so gerne sein: Patriotisch. Endlich wieder stolz sein auf unser Land und das laut sagen dürfen. Wir übersehen dabei, dass wir längst allen Grund dazu haben. Dass man auf ein Land, das sich seiner gemeinsamen Vergangenheit stellt, das die Erinnerung auch für alle nachfolgenden Generationen wachhält und damit die beste Vorsorge für eine friedliche Zukunft betreibt, mit Fug und Recht stolz sein kann.

4 Kommentare

  1. Also für Deinen “antibiotikaumnebelten” Zustand schreibst Du sehr klar und deutlich. Kann nur applaudieren! … und Dir weiterhin “gute Besserung” wünschen!

  2. Diese Geisteshaltung der “Schuldverdrängung” nimmt leider immer mehr zu. Dazu passt zum Beipiel auch die Haltung des Kanzlers, der von einer “Befreiung” Deutschlands dieser Tage spricht, statt wie korrekt von der Besetzung. Gerade die Berichterstattung über 60 Jahre Kriegsende überall in Deutschland wird in der nationalen, wie auch in den lokalen Presse sehr oft als “Erlösung, Befreiung” etc. geschildert und zwar der DEUTSCHEN, als ob es nie eine Heimatfront gegeben hätte. Filme wie die Brücke von Remagen waren wohl doch umsonst.

    Ich glaube eine Chance des Gegensteuerns bestände darin einmal die ganzen Widrigkeiten des gleichgeschalteten Deutschlands, fern ab von jeder Kriegsheroigkeit darzustellen. Den Lehrer in SA-Uniform, der die Schüler beim Frühsport tritzt, all so was. Vielleicht würde sowas helfen.

    mikel

    (bedankt sich für den Artikel hier und winkt mit dem Zaunpfahl ;-))

  3. Erich Fromm schrieb nicht nur “Die Kunst des Liebens” sondern auch “Die Seele des Menschen”in dem er sich über das sog. Böse auläßt. Ursache: Fehlende Distanz: Erich Fromm betrachtet die Negrophilie und den Narzissmus, die im Nationalsozialismus die Massen ansteckten. Und als Folge mangelnder Distanz diese noch heute beschäftigen. Es schließt sich über Erich Fromm der Bogen zu Jens Jessens Aufsatz in der Zeit, der einen ausgesprochenen Narzismus ausmacht bei der Betrachtung des Nationalsozialsmus´ UND der HEUTIGEN Gegener bei dem Versuch, sie mit der NAZI- Keule mundtot zu machen. Und so lebt der Fluch der Bösen Tat über die Ansteckung weiter …
    DISTANZ FEHLT mir auch hier.

    Grüße
    Th Fuegner

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