Auf dem Ostsee-Radweg (3): Von Kühlungsborn nach Graal-Müritz

Zwischen Heiligendamm und Warnemünde

Zwischen Heiligendamm und Warnemünde

Am Morgen habe ich die Promenade von Kühlungsborn fast für mich allein – die meisten Urlauber scheinen noch am Frühstückstisch zu sitzen. Etwas wehmütig verlasse ich das Seebad, das ohne den Trubel richtig sympathisch wirkt, in Richtung Osten.

Die Strecke fährt sich sehr gut, die Steigungen habe ich hinter mir, ab jetzt liegt vor mir nur noch plattes Land. Erwähnte ich schon das gute Wetter und die freundliche Windrichtung? Auch heute ist mir beides treu.

Seebrücke Heiligendamm

Seebrücke Heiligendamm

Bald tauchen im Wald die ersten schneeweißen Fassaden auf – Heiligendamm. Was für ein unwirklicher Ort. Wer morbiden Charme mag, kommt hier auf seine Kosten. Im Grandhotel, wo vor Jahren der G8-Gipfel tagte, geht der Betrieb weiter, als wäre nichts gewesen – dabei hat das Fünf-Sterne-Haus vor kurzem Insolvenz angemeldet. Vor dem Eingang parkt eine Limousine mit getönten Scheiben, im Gartencafe serviert ein dunkelhäutiger Angestellter in weißer Livree den Gästen Kaffee. Die Szenerie hat etwas vom Titanic-Orchester.

Unmittelbar neben dem Hotel ist die untergegangene Pracht des ältesten deutschen Ostseebads mit Händen zu greifen. In einem Halboval reihen sich hier die verlassenen Villen der “Perlenkette” aneinander: Ein halbes Dutzend Häuser, denen man noch ansieht, das sie einmal Prachtvillen gewesen sind, Säulen und ausladenden Ballustraden, die direkt aufs Meer schauen – verwaist, der Putz abgeplatzt, der Stuck an vielen Stellen herausgebrochen, die Balkone baufällig, die Fenster ohne Leben dahinter. Ruinen in Bestlage, dem Verfall preisgegeben.

Villenruine in Heiligendamm

Villenruine in Heiligendamm

Perlenkette in Heiligendamm

Perlenkette in Heiligendamm

Ruine in Heiligendamm

Ruine in Heiligendamm


Doch Rettung naht: Die Entwicklungs-Compagnie Heiligendamm will die Häuser wieder herrichten. Ganz so glatt scheint das nicht zu laufen: Auf einem Schild hat jemand das “Compagnie” überpinselt und “Hemmer” darüber geschrieben. Aber: An einer Villa, der “Perle” direkt neben dem Grandhotel, sind die Arbeiten schon fortgeschritten. Diese Villa wird quasi neu errichtet – sie war 2009 abgerissen worden, damit die Polit-Prominenz an dieser Stelle auf einer Bühne vor den Fotografen posieren konnte.

Gespensterwald bei Nienhagen

Gespensterwald bei Nienhagen

Gruselig wird es noch einmal bei Nienhagen: Als ich um eine Kurve biege, stehe ich unvermittelt im Gespensterwald. Wind und salzige Luft haben die Baumstämme und Äste zu bizarren Gestalten geformt. “Wo der Wind das Gras mäht” sagen die Nienhäger zu diesem Ort, der tatsächlich etwas Mystisches hat. Der Wald grenzt unmittelbar an die Steilküste – ein sehenswerter Kontrast.

Nach vielen gemütlichen, fast einsamen Kilometern hat mich in Warnemünde der Trubel wieder. Hier überquere ich den Alten Strom und nehme die Warnowfähre zur Hohen Düne. Im Hafen liegt die Norwegian Sun vor Anker. Mich beschleicht ja inzwischen beim Anblick eines Kreuzfahrtschiffes immer ein mulmiges Gefühl, und dass an der Bordwand die Aufschrift “Freestyle Cruising” zu lesen ist, macht es nicht besser …

Drüben im Ortsteil Hohe Düne will ich mich gerade wieder aufs Rad schwingen (naja – stemmen. Inzwischen steckt mir die Tour in den Knochen und, äh, auch anderswo), da fällt mein Blick auf ein Schild: Robben-Forschungszentrum. Interessant – das schaue ich mir an.

Robben-Forschungsstation bei Warnemünde

Robben-Forschungsstation bei Warnemünde

Ein ausrangiertes Fahrgastschiff dient an der Ostmole als schwimmendes Institut der Universität Rostock, das Marine Science Center. An das Schiff sind mehrere große Becken angedockt, in denen sich zehn Robben tummeln. Eine davon wird gerade ausquartiert: Finn, ein südafrikanischer Seebär, muss weichen, weil Besuch da ist. Zwei Studentinnen sind da, um bei den Sonar-Versuchen dabei zu sein, und weil Finn ganz gerne mal zubeißt, wird er kurzerhand in ein separates Becken ausgesperrt. Was ihm sichtlich überhaupt nicht passt.

Sonar-Versuche? Während eine Mitarbeiterin mit den beiden Studentinnen am Beckenrand den Versuch vorbereitet, erklärt eine Zweite an Deck des Schiffes, was es damit auf sich hat. In dieser Anlage werden die Sinnessysteme der Tiere erforscht, um daraus zu lernen. Wie orientieren sich die Robben unter Wasser? Wie schaffen sie es, Schallquellen genau zu lokalisieren? Und könnten die Sinnessysteme der Tiere als Vorbild dienen, um zum Beispiel technische Probleme zu lösen? Bionik heißt der Fachbegriff für diese Forschungsrichtung. Wieder was gelernt.

Marco mag Bionik, wie’s scheint. Jedenfalls kann er es kaum erwarten, dass das Spiel mit dem Unterwassersignalen losgeht. Der Seehund ist der älteste im Robben-Team – mit seinen 30 Jahren sei er ein “alter Herr”, sagt die Institutsmitarbeiterin. Er reagiert auf jede Handbewegung, springt auf Befehl aus dem Wasser, legt sich auf einen Wink hin auf den Rücken und lässt sich den Bauch kraulen. Sieht flauschig aus, ist aber eigentlich der tägliche Gesundheitscheck.

Dann geht’s los: Marco muss unter Wasser Signale orten und je nach Schallquelle einen bestimmten Punkt ansteuern. Macht er es richtig, pfeift die Mitarbeiterin – für Marco das Zeichen, dass es Fisch gibt. Flugs taucht er auf und holt sich seine Belohnung. Immer klappt es allerdings nicht, Marco macht etliche Fehlversuche. Zwischenzeitlich erfahre ich Wissenswertes aus dem Robbeballtag: Dass ihr Blickfeld nach oben ausgerichtet ist und sie sich deshalb oft auf den Rücken drehen, wenn sie sich unter Wasser bewegen – sie können dann besser sehen, was sich am Meesgrund befindet. Und dass sie nicht nur an Land, sondern auch im Wasser schlafen – entweder stehend wie ein Korken, mit dem Doppelkinn gerade so über der Wasseroberfläche, oder am Meeresgrund. Dann allerdings müssen sie nachts oft raus – etwa alle 20 bis 30 Minuten, zum Luftholen.

Schweren Herzens reiße ich mich los und radele weiter. Der Weg führt mich durch den Schnatenmann, ein großes Waldgebiet, das die Rostocker dem Fürsten Borwin III. verdanken – den haben sie sich aus lauter Dankbarkeit und Ehrerbietung denn auch gleich aus dem Stamm der stärksten Rostocker Eiche geschnitzt, nachdem diese 2002 von Sturm “Janett” gefällt worden war. Die hölzerne dreieinhalb-Meter-Statue bewacht heute den Eingang zur Rostocker Heide.

Rhododendron-Parkin Graal-Müritz

Rhododendron-Park in Graal-Müritz

Nach einigen Waldkilometern ereiche ich Graal-Müritz – klein und beschaulich, dabei hat der Ort einen intentiv duftenden Rhododendron-Park und einen traumhaft weißen, fünf Kilometer langen Sandstrand zu bieten, an dem ich mir einen Abendspaziergang gönne.

Tageskilometer: 51

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2 Kommentare

  1. Das klingt super schön. Da will man doch gleich s´ Fahrrad in Schuss bringen und los … . Toll! Danke für Deine schönen Reiseberichte. Freue mich schon auf den Nächsten.

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