Bei Hempels unterm Bett

Wenn der Sozialermittler zweimal klingelt… dann ist heutzutage höchstwahrscheinlich eine Kamera dabei. Sendungen wie jene, über die auch Liisa schreibt, scheinen wie Pilze aus dem Boden zu schießen.

Das Genre: Social Reality Soap
Die Titel: “Ordnung muss sein – ein Amt räumt auf”, “Nachtstreife – auf der Spur von Schuld und Sühne”, “Hausbesuche – wenn das Sozialamt klingelt” (alle Süddeutsche TV), “Jagd auf schwarze Schafe – mit Sozialfahndern unterwegs” (Stern TV) oder “Die Sozialhilfedetektive” (Spiegel TV).
Der Plot: Beamter im Außendienst fährt von Haus zu Haus, hört sich bei den Nachbarn um, die sich diese Gelegenheit zur freien Aussprache nur selten entgehen lassen (“Die Özdemirs von schräsch geggeübber, die wolle sisch halt ned anpasse. Die könne jo neddemo rischtisch deutsch.”). Der Beamte klingelt daraufhin bei den Özdemirs (oder den Hempels oder den Schulzes, die längst ebenfalls auf der sozialen Rutschbahn unterwegs sind) und betritt die Wohnung.
Und weil wir eh grad in der Nähe sind, schlüpfen wir – via TV-Kamera – schnell mit durch die Tür.
Sieht uns ja keiner.
Der dramaturgische Höhepunkt (Was erwartet uns in dieser Butze?) ist der heikelste zugleich: Wenn Herr Schulze das Drehen in seiner Wohnung nun nicht gestattet, ist der ganze schöne Film im Eimer. Zu unserem Glück ist Herr Schulze meist gerade mit dem Kochen von Spaghetti und/oder mit der Handwäsche beschäftigt und entsprechend überrumpelt. Zufällig ist auch die Kabelhilfe des TV-Teams gerade viel zu beschäftigt, um Herrn Schulze seine Rechte vorzulesen darauf aufmerksam zu machen, dass er seine Wohnung nicht zwangsweise zum Set erklären muss. Anders ist nicht zu erklären, dass offenbar die wenigsten an dieser Stelle nachhaltig “Nein” sagen zum Aufzeichnen des Besuchs.
Es folgt inquisitorisches Wühlen in Lebensgewohnheiten, Wäsche- und Kühlschrank (obligatorischer Kamerazoom), bevor der Beamte Herrn Schulze beim Verlassen der Wohnung noch etwas zuruft (wahlweise “Ich gebe Ihnen noch vier Wochen” oder “Wir haben uns verstanden?”)
Und weil wir gerade dabei sind, nicken wir drohend mit.
Wir sind doch alle kleine Sozialermittler. Und bei Hempels unterm Bett ist Platz für uns alle.

7 Kommentare

  1. Ja, Du hast schon recht, mit Deiner Kritik an dieser Art von Reportage. Ich sehe das eigentlich ähnlich und sehe mir solche Sendungen normalerweise eher nicht an, aber die besagte hat mich dann doch “gefesselt”. Heftig fand ich – wie ich ja bei meinem Eintrag auch noch nachgetragen hatte – auch das “Denunziantentum”, das da gefördert wurde. Wobei sich da ja auch die Frage stellt, ist es nicht des braven Bürgers Pflicht, auf Mißbrauch hinzuweisen, wenn er denn vorliegt? Ist das dann nicht sogar zum Wohle der Gesellschaft?? Aber andererseits, wirkt es schon abstoßend, vor allem wenn man dann mitbekam in welchem Tonfall bzw. mit welchen Argumenten dann da aufgewartet wurde.

  2. Das ist das Ärgerliche an solchen Sendungen: Statt ein erhellendes Schlaglicht auf die Situation von Sozialhilfeempfängern oder Langzeitarbeitslosen zu werfen, werden dumpfe Klischees bedient – vor wie hinter der jeweiligen Wohnungstür. Brrrr.

  3. Die Bürgerpflicht auf Missbrauch hinzuweisen? Leute! Wie klein muss man eigentlich sein, um dem Sozialhilfeempfänger und Nachbarn x seinen Missbrauch, die kleine Betrügerei im Wert von +/- 200 Euro anzuzeigen – aber den Großbetrügern wie Vodafone die Esser-Abfindungen zu bezahlen?
    Plakativ, ich geb’s zu, aber Blockwartmentalitäten sind ellenlange Schritte zurück – wenn auch urdeutsch!

  4. Georg, Du sprichst mir aus dem Herzen. Aber so lange Schritte liegen diese Mentalitäten in der Gegend um mich herum noch gar nicht zurück. Die DDR wurde mit dieser Mentalität regiert – bis in die kleinste Zelle der Gesellschaft, falls es gelang. Dass es letzten Endes nicht gelang, liegt auch daran, dass dieses Prinzip zu regieren, immer nur zeitweilig funktioniert. Falls sich das im Zeichen der knapper werdenden materiellen Ressourcen im ganzen Deutschland jetzt stärker breit macht, dann haben die Kommunisten einen späten Sieg davon getragen, Gute Nacht 68er, Gute Nacht Demokratie, Individualismus und bürgerliche Freiheit.

  5. So sah die Realität doch gar nicht aus, Achim. Es gab vom Staat engagierte Überwachung bis in die kleinste Zelle, das ist wohl war. Das hatte jedoch nichts mit dem durch diverse Fernsehsendungen pauschal unterstelltes Sozialschmarotzertum, sondern mit politischen Standpunkten und Ausspionieren der Lebensumstände hinsichtlich Westkontakten zu tun.

    Im Gegenteil, wenn es darum ging dem Nachbarn zu helfen oder sich gegenseitig etwas “unter der Hand” zuzuschustern, wenn es darauf ankam der Mangelgesellschaft ein Schnippchen zu schlagen, da waren wir Ossis doch dicke da. Da wurde zusammengehalten und unterm Ladentisch geschoben was das Zeug hält. “Bring mir eine Fuhre Kies ich besorg dir Spanplatten.” etc. Da hat keiner den anderen angeschwärzt.

    Ergo = politische Denunziation in der DDR ja. Anschwärzerei aus Sozialneid – defintiv nein.
    Also nix mit Sieg der Kommunisten :-)). Obwohl mich diese volksverblödenden Sendungen und “BILD” Zeitungen in dieser Demokratie manchmal arg an die versuchten Gehirnwäschen a la “FREIHEIT” erinnern. Aber das steht ja auf einem ganz anderen Blatt.

  6. Die Motive fürs Anschwärzen waren zahlreich. Sozialneid gehörte natürlich auch dazu. Jemanden anzuschwärzen war in manchen Situationen durchaus karierefördernd, wenn es ins provinzielle “lokalpolitische” Kalkül passte. Wenns darauf ankam, bekam der Denunziant den Job, den der andere, der mit den Skrupeln, nicht bekam. Wer mehr wusste über den anderen, war in der doppelzüngigen “sozialistischen” Gesellschaft klar im Vorteil, konnte sein Wissen ellenbogenmäßig ausspielen, log sich nach oben.

    Denunziation wurde im Rahmen von Enteignungswellen geradezu organisiert. Da wurden plötzlich halt doch die kleinen “Schiebereien” ausgegraben, wenn der Kleinbetriebsinhaber der freiwilligen Enteignung nicht zustimmte oder dem lächerlichen Entschädigungsbetrag nicht zusprach. Es gab Prozesse, in denen diese kleinen Dinge moralisiert und hochgeschaukelt wurden, die in der Mangelwirtschaft geradezu notwendig sind, damit überhaupt noch irgendwas funktioniert.

    Am (zum Glück immer nur vorläufigen) Ende siegte immer die Partei, die bekanntlich immer Recht hat.

  7. Und natürlich war es auch immer mit Einkommensnachteilen verbunden, politisch denunziert zu werden. Die “Gehorsamsten”, bar jeder eigenen Meinung, aalglatt angepasst an die Inhalte des NEUEN DEUTSCHLAND, an die Schlangen-Linie der Partei (anstelle einfach wahr geradeaus zu gehen), bekamen in der Regel die ertragreichsten Jobs, durchaus auch unabhängig von der eigenen Leistung (politisch-ideologische Korruption), und/oder andere materielle Vergünstigungen. Wer nicht hinreichend politisch-ideologisch gehorsam war, durfte in vielen Fällen nicht mal studieren, hatte also auch weniger Aussicht auf einen guten Job.

    Zu manchen Zeiten fiel man als Studienbewerber schon durch das Raster, wenn die Eltern zur Intelligenz gerechnet wurden, anstelle zur Arbeiter- und Bauernklasse, insbesondere dann, wenn die Eltern keine SED-Funktionäre waren, weil gerademal wieder ein paar Soziologen im Auftrag der Partei herausgefunden hatten, dass der Anteil der Arbeiter- und Bauernkinder unter den Studierenden zu gering sei.

    Manche Pfarrerskinder konnten (wenn der Partei kampagnenhaft mal wieder danach war) noch so gute schulische Leistungen vorweisen, sie kamen nicht auf die EOS, oder bekamen keinen Studienplatz. U. s. w. u. s. f.

    Da wo Mangel herrscht, lässt sich mit materiellen Bevor- und Benachteiligungen am leichtesten regieren. Insofern ist kaum eine Differenz in der Wirkung zwischen Sozialneid oder anderen Motiven.

    Das Schlimme ist das gesamtgesellschaftliche Klima, was dabei entsteht. Die Angst allenthalben. Wer erinnert sich nicht daran, dass es der Wegfall der Angst war, den man zu allererst spürte, als die Mauer fiel. Schwache Regime regieren immer mit Angstmache. Kleingeistige Angstmacher waren und sind sie, diese Blockwarte. Die wahren Terroristen im Lande.

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