Es ist eine der begehrtesten Führungen, die das Bonner Haus der Geschichte im Programm hat, und sie ist noch dazu kostenlos: Begleitete Rundgänge durch den Kanzlerbungalow im Bundesviertel sind oft viele Wochen im Voraus ausgebucht. Spontanbesucher bekommen dennoch eine Chance – wenn sie frühzeitig da sind und viel Geduld mitbringen. DailyMo-Leser*innen bekommen hier einen exklusiven Einblick. Folgen Sie mir!
So ergattert man als Einzelbesucher*in einen Platz für eine der beiden Führungen um 14 und 14:30 Uhr (Verfahren persönlich erprobt): Sonntags ab 12:45 Uhr in der Schlange am Infoschalter im Haus der Geschichte anstellen. Warten. Warten. Podcast hören. Warten. Mit Schlangenachbarn plaudern. Warten. Gedanklich durchzählen: Bin ich unter den ersten 20? (Jede Person vor mir kann bis zu zwei Plätze buchen.) Warten. Von einem Fuß auf den anderen treten. Warten. Kurz überlegen, ob es klug wäre, die Schlange für einen Klogang zu verlassen. Plan verwerfen. Warten. Gequält lächeln. Dann nur noch in die ab Punkt 13:30 Uhr (und keine Minute früher) ausliegende Liste eintragen. Schon ist es geschafft!
In Begleitung eines Guide geht es dann wenig später ein paar Hundert Meter weiter zu dem großen Park, auf dem das ehemalige Kanzleramt, das Palais Schaumburg (Dienstsitz des Bundeskanzlers bis 1976) und der Kanzlerbungalow stehen. Der “Sicherheitscheck” dort ist, nunja, sparsam: Wir klingeln an dem Zaun, an dem einst Schröder rüttelte, das Tor wird uns aufgetan, ein Pförtner lässt sich die Personalausweise zeigen und macht Häkchen auf der oben erwähnten Namensliste. Das war’s. Was ich im Rucksack habe, interessiert nicht. Jedenfalls, solange keine erhöhte Terrorwarnstufe gilt.
Der Rundgang beginnt am früheren Kanzleramt, genauer gesagt: an der Bronzeskulptur “Large Two Forms” auf dem begrünten Vorplatz. Die Älteren unter uns ;) kennen es sicher noch von der TV-Berichterstattung aus der Bonner Republik.
Zurückhaltung war erste Kanzlerpflicht, so sah es der damalige Bauherr Willy Brandt. Die Steuerzahler sollten nicht durch ein pompöses Kanzleramt verärgert, die DDR nicht durch eine bauliche Machtdemonstration provoziert werden. Dementsprechend sachlich fiel die Architektur aus. Dass es überhaupt so lange dauerte, bis die Bonner Republik ein eigenes Kanzleramt errichtete (bis dahin hatte der Kanzler seinen Arbeitsplatz im benachbarten Palais Schaumburg), hatte ebenfalls mit der DDR zu tun. Der Bau eines Regierungssitzes in Bonn, so empfand es die BRD-Führung, war zugleich das Eingeständnis, dass man die deutsche Teilung akzeptierte.
400 Räume hat der im Jahr 1976 eröffnete Komplex, das Büro des Kanzlers im zweiten Stock bot mit 100 Quadratmetern den größten Platz. Es ist heute wieder mit Helmut Schmidts Büromöbeln ausgestattet – kann man von außen natürlich nicht sehen.
Das spröde Kanzleramt ist ein krasser Gegenentwurf zu dem Gebäude, das sich schräg dahinter im Park erhebt: Palais Schaumburg ist mehr Schloss als Villa.
Erbaut von einem Fabrikanten, war es ab 1891 Residenz des Prinzen Adolf zu Schaumburg-Lippe und der Prinzessin Viktoria von Preußen. Sie ließ sich nach dem Tod ihres Mannes auf eine Ehe mit einem Hochstapler ein, der ihr Geld verspielte und dann verschwand – Viktoria verlor das Wohnrecht im Palais, das sie bereits 1919 aus Geldnot veräußert hatte. 1939 kaufte das Deutsche Reich das Anwesen. Ein Kommando der Wehrmacht zog in die Räume ein, später die Briten, dann die Belgier. Und im Jahr 1949: Konrad Adenauer.
In Sichtweite zu Kanzleramt und Palais, zum Rhein hin ausgerichtet, steht der Kanzlerbungalow. Er war eine Idee von Ludwig Erhard. Sein Vorgänger Konrad Adenauer wohnte in Rhöndorf und hat sich die rund 15 Kilometer morgens und abends chauffieren lassen. Erhard aber wollte eine Wohnung im Bundesviertel. Er beauftragte Sep Ruf, den Architekten, der auch sein privates Haus am Tegernsee entworfen hatte. Der zwei Millionen Mark teure Dienst- und Wohnsitz im Stil der klassischen Moderne war Ludwig Erhard, wenn man so sagen darf, auf den Leib gebaut.
Sie lernen mich besser kennen, wenn Sie dieses Haus ansehen, als etwa, wenn Sie mich eine politische Rede halten sehen. Nicht die Repräsentation ist das Entscheidende, sondern die menschliche Begegnung.
(Ludwig Erhard)
Die nüchterne Zweckmäßigkeit entsprach wohl seinem Naturell. Seine Amtsnachfolger hingegen fühlten sich allesamt nicht wohl in dem Haus – die meisten hassten es, dort zu wohnen. Und seit ich einen Blick in das Innere des Bungalows werfen durfte, muss ich sagen: zu Recht.
Der Bungalow besteht aus zwei Häusern mit quadratischem Grundriss, die versetzt ineinander übergehen. Das größere Quadrat (links auf dem Bild) ist der dienstliche Teil, das kleinere rechts beherbergt die privaten Räume. Beide Gebäude sind um ein Atrium herum gebaut; der blaue Punkt im privaten Trakt ist ein Pool, der sich bei näherem Hinschauen als kleines Bassin entpuppt. Für das winzige Stückchen Luxus musste Erhard sich heftige Kritik anhören. “Palais Schaumbad” hieß der Bungalow bald im Volksmund, oder “Ludwigslust”. Erhard war nicht amüsiert.
Ich hätte dort privat nicht wohnen wollen. Der offizielle Teil war eigentlich steif, und der Wohnbereich hatte den Charme einer Hundehütte.
(Norbert Blüm)
Sechs Stöße Brust, Purzelbaumwende, sechs Stöße Rücken – täglich. Das ist herrlich, das ist ein wirkliches Geschenk Erhards.
(Kurt Georg Kiesinger)
Der erste Kanzler der Bundesrepublik nahm in seinem Urteil über den Bungalow kein Blatt vor den Mund:
Ich fürchte, der brennt nicht mal. Da kann kein Mensch drin wohnen. Ich weiß nicht, welcher Architekt den Bungalow gebaut hat, aber der verdient zehn Jahre.
(Konrad Adenauer)
Die Kiesingers riefen eine Innenarchitektin zu Hilfe, um wenigstens einen Hauch von Wohnlichkeit zu schaffen. Willy Brandt und seine Familie zogen gar nicht erst ein, sondern blieben in der Dienstvilla des Außenministeriums am Venusberg. Allerdings musste Brand dafür ein ärztliches Attest beibringen, das besagte, er vertrage das Klima direkt am Fluss nicht.
Loki Schmidt vermisste vor allem Hamburg, aber auch die eigene Küche – und musste eine Besenkammer dafür zweckentfremden. Hannelore Kohl war selten da, sie hielt sich lieber im pfälzischen Oggersheim auf. Ihr Mann Helmut nannte das Haus ein “absurdes Bauwerk”.
Dennoch nahm er nach der verlorenen Bundestagswahl 1998 das Angebot Gerhard Schröders an, im Bungalow wohnen zu bleiben. So kam bis zu Kohls Auszug 1999 es zu einer bemerkenswerten Kanzler-WG: Schröder, ohnehin auf dem Sprung in die neue Hauptstadt Berlin, nutzte den dienstlichen Teil des Hauses zu repräsentativen Zwecken, während Kohl ein paar Meter weiter auf der braunen Couch in seinem Wohnzimmer saß.
Ob er da nicht manches Mal versucht war, an der Tür zu lauschen?
1999 verließ der letzte Kanzler, der den Bungalow als Wohn- und Amtssitz genutzt hatte, endgültig das Haus.
Kündigung des Mietverhältnisses: Hiermit möchte ich Ihnen mitteilen, dass mein Mann und ich aus dem bislang von uns bewohnten Bungalow des Bundeskanzleramtes in Bonn mit Wirkung zum 30. September 1999 ausziehen werden.
(Hannelore Kohl)
Wer nun Lust bekommen hat, sich selbst im Kanzlerbungalow umzuschauen: Hier geht’s zum 360-Grad-Rundgang.
Sehr interessant, diese Einblicke! Ich frage mich jetzt allerdings, inwieweit ein solches Arbeits- und Wohnumfeld Auswirkungen auf die tatsächliche Politik haben könnte. Ich meine, wenn man so ein Wohnen wirkt sich ja auch auf die Psyche aus. Hätte die bundesrepublikanische Politik evtl. hier und da anders ausgesehen, wenn die Kanzler nicht in dieser kargen Box gewohnt hätten? Ich weiß, kann man nicht beantworten, aber ich denke trotzdem dran herum.
Interessante Frage. Wie sich das Wohnen auf die Psyche auswirkt, das erlebe ich am eigenen Leib (lärmende Nachbarn = Aggro-Mo ;)) Glaube allerdings eher, dass sich so etwas in erster Linie aufs Privatleben auswirkt und, ja, vielleicht auch auf die persönlichen Beziehungen im Arbeitsumfeld.