Unter der Honsellbrücke bilden sich derzeit an den Wochenenden lange Schlangen: Viele wollen die Fotografien von Annie Leibovitz sehen. “Women: New Portraits” ist eine Wanderausstellung, die an nur zehn Orten der Welt Station macht, davon nur eine in Deutschland – in den Hallen des Kunstvereins Familie Montez in den Brückenbögen im Frankfurter Ostend. Der Eintritt ist frei.
Die neuen Fotografien setzen ein Projekt fort, das die heute 67-jährige US-amerikanische Fotografin 1999 begonnen hat. Im Laufe ihres bewegten Berufslebens hat Annie Leibovitz viele Frauen vor die Kamera bekommen: Politikerinnen wie Hillary Clinton, Geschäftsfrauen wie Sheryl Sandberg, Künstlerinnen wie Patti Smith, Forscherinnen wie Jane Goodall, Schauspielerinnen wie Meryl Streep, Aktivistinnen wie Malala Yousafzai.
In einem Interview hat sie einmal gesagt, dass ihr meist nur eine Viertelstunde bleibt für ein Fotoporträt – wenn das zutrifft, sind ihre Bilder umso gründlicher vorbereitet, denn Annie Leibovitz inszeniert Menschen in einer Weise, bei der kein Detail dem Zufall überlassen scheint. Malala, die ein Attentat der Taliban überlebte und seither umso lauter für das Recht der Mädchen auf Bildung streitet, steht mit gefalteten Händen in einem Klassenzimmer, das wirkt, als seien die Schulkinder gerade erst herausgestürmt. Adele lehnt mit geschlossenen Augen an einem Klavier, eine Hand auf den Tasten. Elizabeth II. steht, zur Seite blickend, in einem Saal des Palastes, sie selbst und alles Inventar sieht aus wie gemalt. Die Tennisprofis Venus und Serena Williams legen schützend ihre durchtranierten Arme umeinander. Die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ist in einem klassischen Porträt festgehalten, ebenso die Primatologin Jane Goddall. Das Foto von der Frauenrechtlerin und Anwältin Andrea Medina Rosas erweckt den Eindruck, als habe Annie Leibovitz sie nach Feierabend auf dem Heimweg abgepasst.
Auch ältere Bilder sind zu sehen, so das Coverfoto von John Lennon, der sich nackt an die bekleidete Yoko Ono schmiegt, entstanden wenige Stunden vor seiner Ermordung, und natürlich eine Aufnahme von Susan Sontag, der Lebensgefährtin von Annie Leibovitz – entstanden zu Lebzeiten der Publizistin. Für das Veröffentlichen von Fotos, die Leibovitz von ihrer sterbenskranken und schließlich toten Freundin gemacht hat, ist sie von unter anderem von Susan Sontags Sohn heftig angegriffen worden.
Im ersten Ausstellungsraum liegen Bildbände aus, es gibt Sitzgelegenheiten, um in Ruhe darin zu blättern. Der zweite Raum präsentiert die Fotos digital auf großen Bildschirmen und ausgedruckt an einer Stellwand. Wenn man sie mit dem am Eingang erhältlichen Flyer in der Hand abschreitet, bekommt man biografische Informationen zu Annie Leibovitz’ Protagonistinnen.
Die Ausstellung ist noch bis zum 6. November 2016 in Frankfurt zu sehen.