Weit weg vom Alltag, unter einer alles in warmes Licht tauchenden südlichen Sonne und einem Himmel, blankgefegt wie ein Bürgersteig in einer deutschen Kleinstadt an einem Samstagnachmittag, wollte ich die Morde von Orlando am liebsten ganz weit wegschieben. Nicht drüber nachdenken, was dort passierte. Nicht an mich heranlassen, wer da abgeschlachtet wurde und warum. Was es mit mir zu tun hat. Mir einreden, dass es keine Rolle spiele, ob es Besucherinnen und Besucher eines Rockkonzerts, eines Marktes, einer Touristenattraktion, eines Stadions oder eines Treffpunkts für Lesben, Schwule, Transgender trifft. Tagelang versicherte ich mir selbst, dass es falsch wäre, nur deshalb besonders berührt zu sein, weil es meinesgleichen getroffen hat. Darf man das? Und außerdem: Waren die anderen Opfer denn nicht auch meinesgleichen?
Hat nicht geklappt.
Auf brutale Weise und mit einiger Verzögerung zerren die Morde von Orlando und die Reaktionen darauf auch bei mir etwas ans Licht. Etwas, das immer da war, das ich selbst aber nicht mehr gesehen habe (oder nicht sehen wollte), weil ich zugelassen habe, dass die regierende Politik es mit ihrem selbstgerechten Toleranzgehabe zukleistert:
Wir sind immer noch weniger wert.
Wenn ein ganzes Dorf sich über deine lesbische Hochzeit freut, die Steuerberaterin dir freudestrahlend mitteilt, dass das überholte Ehegattensplitting nun auch für dich gilt, wenn die Kolleginnen und Kollegen deine Frau ganz selbstverständlich deine Frau nennen, wenn du also das Glück hast, in einer großen, freundlichen Akzeptanz-Filterblase zu leben, dann kann man diese empörende Tatsache aus den Augen verlieren. Und wenn ich noch so oft trotzig von mir behaupte, verheiratet zu sein – Ämter und Behörden nennen das kosequent anders. Behandeln uns anders.
Doch wir brauchen gar nicht auf die schlimmsten europäischen Länder herabblicken: Auch in Deutschland kommt eine Regierung weiterhin damit durch, eine Bevölkerungsgruppe fortgesetzt zu diskriminieren – wegen eines “Bauchgefühls”.
Arsch hoch!
Das ist vor allem eine Aufforderung an mich selbst. Die CSD-Saison hat erst begonnen. Wenn ich will, dass die Paraden politischer und größer, wir sichtbarer und unsere Forderungen lauter werden, muss ich wohl mal raus aus meiner Filterblase.