Hetze-Welle in Deutschland

Kein Mensch ist illegal! Aktion am Mainufer in Frankfurt

Kein Mensch ist illegal! Aktion am Mainufer in Frankfurt

In unserem Redaktionsalltag häufen sich die Fälle: Wer offen Haltung gegen rechten Hass zeigt, wird persönlich bedroht. Wieder verbreiten Rassisten in Deutschland Angst und Schrecken, um Menschen einzuschüchtern. Das hat 1933 auch schon geklappt.

Deutschland im März 1933: Auf einer Pressekonferenz kündigt Heinrich Himmler die Einrichtung eines Konzentrationslager in der Nähe von Dachau an. Fassungsvermögen: 5000 Personen. Journalisten berichten in den kommenden Wochen und Monaten immer wieder darüber. Auch ungeklärte Todesfälle werden publik. Nach einem Jahr lassen die Nazis viele traumatisierte Gefangene gezielt wieder frei – sie sollen draußen von der Willkür, der Folter, ja, auch von den Morden erzählen. Geheimhaltung war, zumindest in dieser Phase, nicht im Interesse der Nazis. Es sollte sich herumsprechen, was jenen blüht, die sich dem Regime widersetzen. Das Ziel: Einschüchterung.

Deutschland im Jahr 2015: In Kommentarspalten, Netzwerken und auf den Straßen tobt sich ein entfesselter rechter Mob aus. Häuser brennen, Sprengsätze explodieren, und nur mit viel Glück sind noch keine Toten zu beklagen. Eine unserer Autorinnen bezieht Position gegen Pegida – und bekommt Morddrohungen. Wir stellen den Initiator der Petition Heime ohne Hass in der FR vor. Zwei Tage später nehmen wir den Artikel offline – weil er uns dringend darum bittet. Er fürchtet um sein Leben.

Einige Wochen später: Ein Konfliktforscher warnt im FR-Interview vor der Bildung rechter Zellen, erinnert an den NSU und diagnostiziert eine weit verbreitete Menschenfeindlichkeit im ganzen Land – einen Tag später ruft er uns an, berichtet von massiven Drohungen und bittet darum, wenigstens sein Foto aus dem Artikel zu entfernen.

Die “Heime-ohne-Hass”-Petition wird derweil von einer anonymen Unterstützergruppe übernommen. Der Blogger und Anwalt Heinrich Schmitz gehört dazu. Weil er identifizierbar ist, richtet sich der Hass nun gegen ihn, seine Familie wird bedroht. Was sich kranke Hirne ausdenken, um Andersdenkende einzuschüchtern, ist unfassbar. Schmitz gibt auf – allerdings nicht wortlos:

Ich habe kapiert, dass die „schweigende“ Mehrheit der Bevölkerung am liebsten „schweigt“. Dass sie keineswegs mit dem Hass auf den Straßen einverstanden ist, aber lieber hinter den Gardinen steht, statt selbst auf die Straße zu gehen. Dass die Frau an der Spitze dieses Landes das Schweigen zur Regierungsmaxime erhoben hat und sich gerade deshalb alternativloser Beliebtheit erfreut.

In Jamel, einen winzigen Dorf bei Wismar, brennt die Scheune eines Ehepaars nieder, das sich den Neonazis entgegenstellt. Brandstiftung, vermutet auch die Polizei.

Was ist hier eigentlich los?

Dass Rassismus in Deutschland weit verbreitet ist, überrascht mich nicht. Niemand hat die tief verwurzelten Ressentiments je treffender in Worte gefasst als Methusalix: “Ich habe nichts gegen Fremde. Einige meiner besten Freunde sind Fremde. Aber diese Fremden sind nicht von hier!” Aber die Offenheit, mit der blanker Ausländerhass inzwischen zur Schau getragen wird, ist neu und macht mich fassungslos. Sie kleben sich das Etikett “besorgte Bürger” an und sind doch nichts als rechte Spießbürger – und endlich haben sie das Gefühl, das offen zeigen zu können. Die halbe Welt brennt, aber wenn sie auch nur ein laues Lüftchen umweht, fühlen sie sich augenblicklich zu kurz gekommen. Warum? Ganz einfach: Weil sie mehr wert sind als Menschen anderer Herkunft, und deshalb ein besseres Leben verdienen.

Grabesstille

Deutschland im Sommer 2015: Flüchtlinge und ihrer Unterstützer werden an Leib und Leben bedroht, und die Regierung in diesem Land juckt es nicht. Die Kanzlerin kraxelt durch die Berge, während Rassisten – befeuert durch Merkels aufs Wahlvolk gezielte “Wir-können-nicht-alle-aufnehmen”-Parole – Unterkünfte anzünden, in denen traumatisierte Menschen sich zum ersten Mal seit Jahren sicher fühlen sollten.

Der Vizekanzler, der sich gerade noch den Pegidioten angebiedert hat, wittert eine billige Chance, sich zu profilieren, und benutzt dazu einen gutwilligen, aber halt nicht allerhellsten Schauspieler. Und wo ist eigentlich der Bundespräsident? Ist Freiheit ist immer nur die eigene Freiheit?

Wir können auf diese Leute nicht zählen.

Sie sind nicht daran interessiert, sich dem Rassismus entgegenzustellen. Alles, was sie interessiert, ist der Machterhalt. Offenbar notfalls auch um den Preis, dass dafür Menschen über die Klinge springen müssen.

Wir müssen selbst was tun. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Anlaufstellen für konkrete Hilfe.

Portale:

Vermittlung von Zeit- oder Sachspenden: ichhelfe.jetzt
Hilfsprojekte und Initiatven für Flüchtlinge im Überblick: wie-kann-ich-helfen.info
Vermittlung privater Unterkünfte für Flüchtlinge: fluechtlinge-willkommen.de
Jobbörse für Geflüchtete und Arbeitgeber: workeer.de
Initiative für ein selbstverwaltetes Zentrum für MigrantInnen in Frankfurt: Project Shelter

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4 Kommentare

  1. Am Donnerstag sitze ich auf der Konstablerwache abseits des Markts und schlecke ein Eis, als mich ein Obdachloser um einen Euro bittet. Ich antworte, dass ich gerade mein ganzes Kleingeld ausgegeben habe und der Obdachlose trollt sich.

    Da werde ich von rechts (!) von einem älteren Herrn angesprochen, dass es den “Obdachlosen” oft besser gehe als uns und in den 1960ern habe sich einer von der Frau im Mercedes an den Hauptbahnhof bringen lassen, um dort zu betteln, weil er dort mehr Geld auf diese Weise verdienen konnte, als mit arbeiten und in Harheim habe er Mietshäuser besessen…

    Aber das wird noch alles schlimmer, wenn die ganzen Kanaken hierher kommen, die kriegen ja alles und manche haben über 2000€ im Monat…

    Ich bin dann gegangen, bevor ich dem Herrn auf die Hose kotzen muss…

    Was mich besonders fertig gemacht hat, war die Selbstverständlichkeit, mit der dieser “Herr” seine abgrundtief menschenverachtende braune Soße über einen zufällig neben ihm sitzenden, Eis essenden Mann ausgießt.

  2. Hallo Pit, Ähnliches hört man immer öfter. Und du hast recht: Die Selbstverständlichkeit, mit der sich diese Leute mit allen, die gerade neben ihnen stehen (und nach äußerem Anschein deutscher Herkunft sind) gegen “die Anderen” zu verbünden versuchen, ist verstörend. Man müsste viel öfter antworten: “Oh, Sie irren sich. Ich bin keine Rassistin.”

  3. Es war schon immer linksliberale Arroganz, die den normalen Bürgern (“die schweigende Masse”) die Schuld an allen Übeln in die Schuhe schob, zu Selbstkritik sind diese Medienvertreter gar nicht fähig.

    http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/sibylle-berg-ueber-fluechtlinge-angst-und-panikmache-in-medien-a-1048196.html#ref=meinunghp

    Angst schüren und sich dann über ängstliche Bürger beschweren … was soll man dazu noch weiter sagen? Löbliche Ausnahmeartikel wie den deines Blogs positiv zu kommentieren ohne ihn lediglich zu benutzen, irgendwen vorzuführen und auf seine Kleidung zu kotzen, das wäre vielleicht eine Möglichkeit. In diesem Sinne: ich bin froh, dein Blog auch weiterhin empfehlen zu können.

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