Neulich gab’s ja einen Tatort, wie für mich gemacht. Ein Droste-Plot! Klara Blum ermittelt in Konstanz in einem Mordfall, bei dem Annette von Droste (die ja bekanntlich gegenüber in der Meersburg ihre letzten Lebensjahre verbrachte) eine Rolle spielt. Die schier unglaubliche Geschichte: Eine beim Opfer gefundene alte Weinflasche, vermeintlich Jahrgang 1832, könnte aus dem Sortiment des Drosteschen Hochzeitsweins stammen, der in den badischen Revolutionsunruhen des Jahres 1848 in einem Kellergewölbe vergessen worden sein soll. In einer Rückblende sieht man die Droste aufgeregt im nächtlichen Konstanz herumlaufen und verzweifelt “Levin! Levin!” rufen. Doch Levin ist verschwunden, die heimlich geplante Hochzeit fällt ins Wasser, und Annette stirbt kurz darauf an gebrochenem Herzen.
Das war dann der Moment, als ich auf meinem Sofa ein verzweifeltes “Hä?” ausrufen musste.
Hochzeitswein? Heiratspläne? Ein gewisser Levin als heimlicher Bräutigam? Eine adlige Dichterin, die inmitten von revolutionären Unruhen des deutschen Vormärz 1848 auf den Straßen herumirrt? Ein Tod aus Gram über eine unerfüllte Liebe?
Sagen wir’s mal so: Authentisch wirken bei dieser Geschichte allenfalls die aufgedrehten Locken der Droste-Darstellerin. So ziemlich alles andere ist hanebüchener Unsinn. Diesen Fall hätten wir weit vor 21:45 Uhr lösen können, wenn die Kommissare mal auf die Idee gekommen wären, jemanden zu fragen, der sich damit auskennt. Mich zum Beispiel! ;)
Die Fakten:
1.) Der angebliche Bräutigam ist bereits verheiratet.
Und mit Annette hat er es sich längst verscherzt.
Sicher ist, dass Annette von Droste-Hülshoff und den 17 Jahre jüngeren Levin Schücking jahrelang eine enge Freundschaft verbindet. Wie weit Liebe im Spiel war, darüber lässt sich heute nur spekulieren. Geheiratet hat Levin eine andere. Im Jahr 1848 ist er bereits seit mehr als vier Jahren mit Luise von Gall verehelicht und Vater eines Sohnes. Seine Beziehung zu Annette ist zu dieser Zeit schon länger merklich abgekühlt – auf ihr Betreiben. Levin hat nämlich 1846 den Roman “Die Ritterbürtigen” veröffentlicht und darin Details verwendet, die er aus vertraulichen Gesprächen mit Annette erfahren hatte.
Annette von Droste bricht danach den Kontakt zu Levin Schücking endgültig ab. Dass dieser im September 1846 die (heute würde man sagen: unautorisierte) Biografie “Annette von Droste. Eine Charakteristik” publiziert, verfolgt sie aus der Ferne mit großer Skepsis. Sie will das Buch nicht einmal lesen.
2.) Annette von Droste hätte Konstanz 1848 gar nicht erst erreicht.
Das Jahr 1848 beginnt auf der Meersburg mit großer Unruhe. Die Bewohner – Annette ist hier zu Besuch bei Schwester Jenny und deren Ehemann Joseph von Laßberg – verfolgen mit Sorge die Revolution in Paris. Im März hören sie von Unruhen in Baden, Württemberg, Bayern und auch in Westfalen. Besonders dürfte sie beunruhigt haben, dass auch die Bauern im Paderborner Land, der Heimat der adligen Gutsbesitzer und Verwandten mütterlicherseits, im Aufstand sind. Annettes Mutter Therese berichtet brieflich an den Bodensee, bei Annettes Cousin Guido von Haxthausen in Voerden seien die Fensterscheiben eingeworfen worden.
Am 10. März dringt der Lärm der Revolutionäre auf den Straßen in die Meersburg.
Annette ist nicht nur zu klug, um sich in dieser Situation nach draußen zu begeben. Sie ist vor allem auch viel zu krank, um die Burg zu verlassen. Den größten Teil des Winters hat sie in ihrem Zimmer verbracht, nur wenige Male konnte sie an den gemeinsamen Mahlzeiten teilnehmen. Erst im Mai 1848 schafft sie es wieder, im Hof der Meersburg spazieren zu gehen – zur Freude ihrer Schwester.
Aus dem Tagebuch der Jenny von Laßberg, 19. Mai 1848
3.) Wenn das Herz denn brach – dann schon ein paar Jahre zuvor.
Dass die Droste-Forschung sich bis heute nicht einig ist über die Todesursache, öffnet der Spekulation Tür und Tor. Sicher ist: Am 24. Mai 1848, am frühen Nachmittag zwischen 14 und 14.30 Uhr, stirbt Annette von Droste in ihrem Zimmer auf der Meersburg. Zeitgenössische Quellen sprechen von einem Blutsturz, andere von einer Lungenentzündung oder von Herzversagen. Auf dem Totenzettel ist von einem “Herzschlag” die Rede. Das Blutspeien, das sie seit zwei Tagen quält, mag jedenfalls so gar nicht zu einem Tod an gebrochenem Herzen passen.
Wenn Levin tatsächlich Annettes Herz gebrochen hat – und dafür spricht einiges – dann allerdings schon mehrere Jahre vor ihrem Tod. Spätestens 1846, als er das “scheußliche Buch” veröffentlichte, war die Freundschaft für sie beendet:
Erst spät bekommt auch der Tatort noch die Kurve. Die Sache mit der heimlichen Droste-Hochzeit stellt sich als Ente des Weinexperten Hans Lichius heraus, ausgedacht, damit er und seine Freundin, die Chefin des Schweizer Auktionshauses Tobler, sich an den alten Tropfen bereichern konnten, die wiederum gerne von deutschen Steuerflüchtlingen erworben und in der Schweiz gebunkert werden. Und am Ende ist Levin, wie Kommissar Perlmann weinselig entdeckt, gar kein Vorname, sondern ein Nachname, nämlich der eines (wiederum frei erfundenen) Nikolaus Levin, der schwule Geliebte des echten Revolutionsführers Friedrich Hecker. Eine Auflösung, wie sie wiederum fast von mir hätte stammen können. :)
Dabei gibt es tatsächlich ein Rätsel um eine Verlobung. Annette von Droste-Hülshoff soll nämlich bei einem ihrer Aufenthalte am Rhein einem Gutsbesitzer die Ehe versprochen haben. Der Herr habe aber, so wird in Droste-Biografien kolportiert, das Versprechen verwirkt. Das wäre mal ein wirklich vielversprechender Ansatz – für den nächsten Köln-Tatort!