Jahrelang war er verrammelt und verlassen. Die Balken morsch, die Stützen marode – wegen statischer Mängel geschlossen. Dabei ist der hölzerne Goetheturm, der im Süden von Frankfurt aus den Bäumen ragt, ein so wunderbares Ziel für Rad- und Lauftouren durch den Stadtwald, ein Höhepunkt, buchstäblich. Seit 2011 musste man sich mit der Einkehr im Lokal zu seinen Füßen begnügen, dessen überfordertes Personal einem stets viel Geduld abnötigt, und sich beim Blick auf den versperrten Turm fragen, wann denn da endlich mit der Renovierung begonnen wird. Jetzt aber ist es doch passiert! In ein paar Tagen, genauer gesagt ab Freitag, ist der Goetheturm wieder offen und empfängt seine Besucher im frischen Holzkleid, mit 196 runderneuerten Stufen und – jetzt ganz neu – witterungsgeschütztem Geländer und einem Stahlnetz in den oberen Stockwerken, der Sicherheit wegen.
Er hat sich verspätet, sollte schon letzten Sommer wieder öffnen, aber es gab Schwierigkeiten, unter anderem mit dem Gerüst. Ob die Erbauer des Turms 1931 ähnliche Probleme hatten, ist nicht überliefert. Sicher ist: Das hölzerne Bauwerk, das sie zu Ehren von Goethes 100. Geburtstag im Wald zwischen Oberrad und Sachsenhausen errichteten, hat enorme Zähigkeit bewiesen. Tatsächlich haben Teile des Turms die letzten 80 Jahre weitgehend unbeschadet überstanden, während andere Balken, die in den 80er Jahren erneuert wurden, bereits nach drei Jahrzehnten wieder bröckelten. Kunststück: In den 1930ern durfte noch mit Teer imprägniert werden. Das bescherte dem damals höchsten (und bis 1999 immer noch höchsten öffentlichen zugänglichen!) Holzbau Deutschlands eine lange Lebensdauer.
Der Goetheturm – so genannt, weil sich Frankfurts berühmtester Sohn hier oben, in den Wäldern über der Stadt, gerne die Dichterbeine vertreten und sich an der nahen Goetheruh’ selbige gegönnt haben soll – hat einen Vorgänger. Exakt 100 Jahre vor meiner Geburt, 1867 nämlich, wurde an dieser Stelle schon einmal ein Turm gebaut und nach dem Ersten Weltkrieg wieder abgerissen. Er war nur halb so hoch wie der spätere Goetheturms mit seinen 43 Metern – aber mag sein, dass das damals reichte, um auf das preußische Provinzstädtchen Frankfurt zu schauen.
Sobald mein lädiertes Knie es zulässt, werde auch ich das wieder tun: durch das offene Treppenhaus nach oben kraxeln, um die Blicke über das grüne Meer des Stadtwalds und die Grie-Soß-Felder von Oberrad hinweg auf die Skyline und weiter bis zum Taunus schweifen zu lassen. Mit dem hölzernen Ausguck über den Wipfeln des Stadtwalds kann kein Bankenturm aus der Skyline gegenüber mithalten.
Und anschließend, mit viel Zeit im Gepäck, einen Sauergespritzten unten in der Kneipe.