Zu Gast bei Erdferkel & Co

Greifstachler

Greifstachler sind Linkswickler. Hätten Sie’s gewusst?

In der Futterküche des Grzimek-Hauses wird schon eifrig geschnippelt, als wir an die Glastür klopfen. “Ah, die Tagesgäste”, begrüßt uns Astrid. Die nächsten zwei Stunden dürfen wir ihr und den anderen Tierpflegerinnen im Frankfurter Zoo über die Schulter schauen und beim Füttern mit anpacken. Für unseren ersten “Tag im Zoo” haben wir uns das abwechslungsreichste Revier ausgesucht: 40 ziemlich unterschiedliche Tierarten leben im Grzimek-Haus. Viele haben nur eins gemeinsam: Sie sind nachtaktiv.

Während draußen an diesem Vormittag die Frühlingssonne scheint, herrscht hier künstliche Nacht. Nach und nach werden die Tiere an diese Zeitumstellung gewöhnt, bis ihr Lebensrhythmus um zwölf Stunden verschoben ist. Nur so hat man eine Chance, sie tagsüber zu Gesicht zu bekommen. Wenn die Sonne untergeht, die letzten Besucher den Zoo verlassen und die Nacht beginnt, dann gehen hier im Grzimek-Haus die Lichter an – und die Tiere gehen schlafen.

Nachdem wir unsere Schuhsohlen in eine Desinfektionsflüssigkeit getaucht haben, drückt Astrid uns Messer in die Hand und zeigt auf ein halbes Dutzend Bananenstauden: Schälen, vierteln und in kleine Scheiben schneiden. Sie selbst pürriert derweil Äpfel, Orangen und anderes Obst in einer Maschine zu einem fruchtigen Brei und erzählt uns dabei ein wenig über das Revier und den Job einer Tierpflegerin. Die populären Dokus im Fernsehen zeigen natürlich nur die spektakulären Seiten des Berufs. Weil manche jungen Leute sich falsche Vorstellungen machen, sind zwei Praktika in verschiedenen Zoos Voraussetzung für einen Ausbildungsplatz. Sechs Lehrstellen gibt es im Frankfurter Zoo, insgesamt arbeiten um die 120 Leute hier, davon elf im Nachttierhaus.

Zwei Eimer voll Fruchtbrei sind fertig, wir kippen unsere Bananenstückchen obendrauf. Eine von Astrids Kolleginnen nimmt uns und die Eimer im Lastenaufzug mit nach unten, führt uns durch gefließte Gänge und schließt eine Tür auf. Wir schlüpfen hindurch – und stehen im Fledermaus-Gehege.

Im spärlichen Licht flattern vereinzelte Exemplare um uns herum. Brillenblattnasen sind es, eine Art, die Früchte, Nektar, Pollen und Insekten frisst – und kein Blut saugt. Gut zu wissen. Wir verteilen den Obstbrei auf viele kleine Näpfe und stellen sie auf mehrere Futterplätze, die zwischen den Baumstämmen hängen. Dann dimmt die Tierpflegerin das Licht herunter, bis es fast ganz dunkel ist – und wie auf Kommando schießen 700 Flattermänner aus den Höhlen und Nischen heraus. Sie sind überall, umschwirren uns, schnappen sich im Flug Bananenstückchen aus dem Brei und tragen sie davon. Ihre Flügel machen ordentlich Wind. Wie Kunstflieger flitzen sie zielgenau zwischen uns hindurch. Nur ein einziges Mal berührt uns eine im Gesicht, ansonsten funktioniert die Sache mit der Echoortung ziemlich gut. Mit Ultraschallrufen, die wir nicht wahrnehmen, und dazwischen ein paar nicht ganz so hochfrequenten Piepstönen scannen sie ihre Umgebung und weichen Hindernissen elegant aus. Ängstlich wirken sie kein bisschen. “Wir sind für sie nur drei Steine”, erklärt uns die Tierpflegerin.

Gut 50 Kilo Lebendgewicht: Erdferkel Lotte

Gut 50 Kilo Lebendgewicht: Erdferkel Lotte

Als nächstes lernen wir Lotte kennen. Lotte ist ein dreijähriges Erdferkel, das sich sehr für Schuhwerk interessiert. In freier Wildbahn knackt sie mit ihren starken Klauen Termitenhügel auf und schleckt die Tierchen mit einer langen Zunge heraus. Hier belässt sie es dabei, zwischen zwei Happen Termitenersatzfutter (die genaue Zusammensetzung ist mir leider entfallen) schnüffelnd ihren Rüssel an meine Schuhe zu drücken und mit den Füßen an meinen Hosenbeinen zu kratzen. Sehr zum Vergnügen der Zoobesucher, die hinter einer Scheibe stehen und uns beobachten. Auch das ist eine neue Erfahrung: Im Zoo auf der anderen Seite des Geheges zu stehen und von Menschen bestaunt zu werden.

Nachdem wir in der Küche noch mehr Obst, Gemüse und Salat geschnippelt haben, geht unser Rundgang weiter. Hinter jeder Tür, die für uns aufgeschlossen wird, wartet ein neues Erlebnis: Wir füttern Brasilianische Greifstachler mit Maiskolben (weiche Knubbelnase, aber Hände weg von den Stacheln!) und flüchten vor missmutigen Kaiserschnurrbart-Tamarinen (Merke: Plustert sich der Schwanz auf, droht ein Beißangriff!). Wir lernen, dass südamerikanische Zweifinger-Faultiere nur einmal pro Woche kacken müssen, was aber nichts mit Faulheit, sondern mit einem extrem langsamen Verdauungssystem zu tun hat. Und dass Fingertiere aus Madagaskar am Klopfgeräusch erkennen, ob sich unter einer Rinde leckere Insekten verbergen oder in einer Kokosnuss Milch steckt. Wir hören winzige weißbäuchige Zwerggleitbeutler raschelnd an Bambusrohren auf- und abhuschen und australische Schnabeligel herzhaft niesen, nachdem sie ihre fingerlangen Nasen tief in eine Schüssel mit Brei versenkt haben. Dem Braunborsten-Gürteltier Maxim bieten wir lecker Würmer an und können es gerade noch daran hindern, sich durch die offenstehende Tür aus dem Gehege zu verdrücken. Wir lassen uns von glubschäugigen Mausmakis durchdringend anglotzen und von Schwimmratten positiv überraschen – sie haben nämlich eher Ähnlichkeit mit Ottern (und in Australien folgerichtig deren Platz eingenommen). Und dann ist da noch der Springhase. Er hoppelt auf den Hinterbeinen heran, wie ein Känguruh seine stummligen Vorderläufe vor sich hertragend, und schaut uns aus Augen an, die riesig sind – ganz im Gegensatz zum Gehirn. Ein bisschen dumm, aber süß. Auch dafür hat die Schöpfung einen Platz vorgesehen. Tröstlich, irgendwie.

Schweren Herzens verabschieden wir uns von den Nachttieren, treten hinaus in den sonnenhellen Tag und machen noch einen Abstecher zu den Giraffen. Bei ihnen dürfen wir unseren nächsten “Tag im Zoo” verbringen, beim Füttern helfen – und beim Ausmisten. Das Jungtier, das Anfang Februar zur Welt kam, wird bis dahin ordentlich gewachsen sein. Im Giraffenhaus hängen Bilder der ganzen Herde, darunter Mutter Monique (!) und Vater Hatari. Die Porträtfotos zeigen nicht ihre Gesichter – sondern ihre Hintern. Wenn es uns gelingt, uns die Netzmuster einzuprägen, können wir sie bei unserem nächsten Besuch mit Namen ansprechen. :)