“Vielleicht trefft ihr in Rom ja Tebartz-van Elst!”, gibt uns die Verwandtschaft lachend mit auf den Weg. “Jaja, ganz bestimmt”, antworten wir, bevor wir uns auf die Reise machen. Mit der ganzen Familie wollen wir vier Tage in der Ewigen Stadt verbringen, den Vatikan, das Kollosseum, die Engelsburg, den Petersdom, die Piazza Navona, den Trevi-Brunnen, das Pantheon, die Sixtinische Kapelle mal mit eigenen Augen sehen. Und dann das: Wer sitzt am allerersten Abend ein paar Tische weiter in der Pizzeria, in der wir uns nach der Ankunft in Rom stärken wollen? Der Bischof aus Limburg.
Es handelte sich übrigens nicht um ein Sterne-Restaurant, sondern ein ganz normales Straßenlokal mit Pizza ab 6,50 Euro, gelegen in unmittelbarer Nähe zum Vatikan. Hier um die Ecke haben wir uns in ein kleines B&B eingemietet: drei Zimmer und Frühstücksraum, unser sechsköpfiges Reisegrüppchen hat die Pension somit komplett belegt. Wer in Rom mal eine sehr schöne, gut gelegene und bezahlbare Unterkunft sucht: Hier ist sie.
Nun sitzen wir also am ersten Abend bei frühlingshaften Temperaturen draußen vor dieser Pizzeria, zusammen mit dem Mann, der in Deutschland in diesen Tagen die Schlagzeilen beherrscht wie kaum ein anderer. Mancher hätte vielleicht ein Handyfoto gemacht, eines wie jenes, das den Bischof im Ryanair-Flieger nach Rom zeigt, und es bei Twitter gepostet, wo die Medien es geklaut und mit dem Hinweis “Quelle: Internet” publiziert hätten. Tebartz sei in Rom “abgetaucht”, melden einen Tag nach unserer Begegnung einige deutsche Verlage und Sender. Der Mann ist aber auch selbst schuld. Statt “Welt” und “Bild” mindestens einmal täglich ein Status-Update zu geben, setzt er sich einfach in eine Pizzeria und bestellt in aller Seelenruhe Maronen zum Dessert. Pöser Pischof.
Oh, man verstehe mich nicht falsch: Ich finde auch, dass man Kirchenmännern mit einem Hang zu Prunk und Protz den Hintern mit ihren eigenen goldenen Wasserhähnen versohlen und sie anschließend zum Seelsorger-Einsatz in eine Favela schicken sollte. (Wie’s scheint, bin ich da päpstlicher als der Papst.) Aber für so manche mediale Hechelei schäme ich mich fast noch mehr, vermutlich, weil ich ein Teil davon bin. Immer das gleiche Muster: Sobald sich abzeichnet, dass ein Skandal das Zeug zum Quotenhit und Klicktreiber hat, drehen wir dieses Rad wie irre gewordene Hamster weiter, ob es etwas zu berichten gibt oder nicht. Notfalls wird eben berichtet, dass es nichts zu berichten gibt.
Während Tebartz auf seine Audienz beim Papst noch ein paar Tage warten muss, betreten wir am nächsten Morgen den Vatikan, genauer gesagt: die Vatikanischen Museen. Der Mini-Staat wird schon morgens von Menschenmassen aus aller Welt regelrecht geflutet, aber man ist auf den Ansturm vorbereitet: Die Schlangen werden am Eingang kanalisiert (“Zur Kreuzigung? Führung mit Online-Ticket? Hier entlang!”) und ergießen sich in ein hallenartiges Foyer. Wer auf seine Führung noch warten muss, kann sich die Zeit hier in den päpstlichen Merchandising-Shops vertreiben. Als unser Guide auftaucht, stellt er sich als ehemaliger Angehöriger der Schweizer Garde vor – wussten Sie, dass die Beschützer des Pontifex nicht nur Schweizer Staatsbürger römisch-katholischen Glaubens, sondern auch mindestens 1,74 Meter groß, unverheiratet und zwischen 19 und 30 Jahre alt sein müssen? Mit dem Blick eines Mannes, der im Vatikanischen Palast zuhause ist und sein Heim großzügig fremden Blicken öffnet, schleust unser Gardist uns treppauf und treppab, durch lange Gänge mit farbenfroh ausstaffierten Wänden und güldenen Decken und kreuz und quer durch den ganzen unfassbaren Reichtum des Vatikan: die Skulpturensammlung von Papst Julius II., die Galerie der Landkarten, die von Raffael und seinen Schülern ausgemalten Gemächer, über Marmorböden und vorbei an Fresken und Wandteppichen, an Altertümern aus dem Orient und der Antike, aus Etruskien und Ägypten.
Bis in den letzten Winkel ist der Vatikanische Palast vollgestopft mit Kunstwerken aller Epochen. Man weiß gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll, und schaut deshalb irgendwann nur noch flüchtig hin. Die Welle der Besucher reißt uns mit, an den Bildern von van Gogh und Matisse hasten wir nurmehr vorbei, eilen durch die Räume der Borgia, dem Höhepunkt entgegen – der Sixtinischen Kapelle. Eine Tür noch, dann werden wir hineingespült in einen rechteckigen, heillos überfüllten Raum. Das ist sie also: 40 Meter lang, 20 Meter hoch, an Wänden und Decke mit farbigen Fresken ausgestattet, und oben, am Tonnengewölbe, die berühmtesten ausgestreckten Zeigefinger der Welt, Michelangelos Erschaffung Adams.
Man möchte nichts weiter tun als stehenbleiben, den Kopf in den Nacken legen und mit offenem Mund Bauklötze staunen – doch so einfach ist das nicht, wir werden von Uniformierten weitergescheucht, “Avanti, avanti!”, sollen uns entweder in die kompakte Menschenmasse in der Mitte der Kapelle drücken oder aber weitergehen. Hunderte von Füßen verdecken die Mosaiken am Boden, Fotografieren ist sowieso verboten, Sprechen ebenfalls. Doch Stille herrscht hier nicht. Was hauptsächlich an den Wächtern liegt, die immer wieder lauthals “Silencio! Silence!” rufen, und zwischendurch: “No photos!”
Trotz allem ist es ein besonderes Gefühl, an dem Ort zu sein, wo Päpste gewählt werden (der Ofen wird nur zu diesen Gelegenheiten installiert). Ganz allein für sich hat man die Sixtinische Kapelle nur bei diesem
virtuellen Rundgang, die einen ganz guten Eindruck vermittelt.
Über eine langgezogene Treppe kann man von hier aus den Petersdom nebenan erreichen. Wir aber drehen um, wandern zurück durch den Palast zum Ausgangspunkt und nehmen den Umweg außen an der Vatikan-Mauer entlang. Wir möchten uns auf dem Petersplatz von den Kolonnaden umarmen lassen und die Kirche, unter der Petrus begraben liegt, durch das Hauptportal betreten.
Inzwischen ist es Abend, auf den letzten Drücker schaffen wir kurz vor Kassenschluss noch den Aufstieg zur Kuppel. Ein Aufzug führt bis zu der innen umlaufenden Galerie – der Blick von hier in den Kirchenraum unter uns ist atemberaubend.
Ab hier geht es zu Fuß weiter, gut 300 Stufen auf Wendeltreppen und zwischen den Kuppelschalen entlang, die sich mit der Krümmung neigen. Abenteuerlich eng ist das hier, Menschen mit breitem Kreuz stoßen da auch mal links und rechts an die Wände.
Eine letzte, mit einem Seil zum Festhalten versehene Wendeltreppe, noch ein paar Stufen – und wir stehen draußen im offenen Rundgang der Kuppel.
Geschafft: Die Ewige Stadt liegt uns zu Füßen. Wir überblicken die Vatikanischen Gärten und den Palast, den Petersplatz mit seinen Heiligen auf der Brüstung der Kolonnaden, die Via della Conciliazione, die sich vom Petersplatz schnurgerade zum Tiber zieht – und rechter Hand, jenseits der Flusses, die Dächer, Tempel, Basiliken, Ruinen, Säulen und Triumphbögen Roms. Dort wollen wir am nächsten Tag hin.