Als im Mai im Londoner Stadtteil Woolwich ein britischer Soldat ermordet wurde, hatte ich Redaktionsdienst. Bald nach den ersten Meldungen kursierte ein Video im Netz, auf dem ein Mann die Tat rechtfertigte, ein Messer in der blutigen Hand. Ich schaute mir den Film mehrmals an, schrieb auch in unserem Artikel darüber, zitierte die Äußerungen mit aller Vorsicht. Aber ich verzichtete darauf, den Clip einzubetten. Ich fand, dass wir nicht unbedingt dazu beitragen mussten, dieses verstörende Video weiter verbreiten. Zudem wusste nicht, ob das Video tatsächlich im Zusammenhang mit der fraglichen Tat steht oder vielleicht doch ein Fake ist. Das Verifizieren von Material aus dem Netz ist nicht ganz einfach, aber es wird – gerade für Journalisten – immer wichtiger. Es gibt bewährte Vorgehensweisen und inzwischen auch eine ganze Reihe von Tools, die dabei helfen können.
Das wichtigste Werkzeug: Gesunder Menschenverstand
Längst gibt es auf Verifikation spezialisierte Unternehmen, die Medienhäusern ihre Expertise anbieten. Eines davon ist Newspoint, ein Service von Blottr, einer britischen Plattform für Bürgerjournalismus mit dem Anspruch, seinen Kunden (darunter vor allem Medienunternehmen und Journalisten) verlässlich authentische Inhalte anzubieten. Eine der Mitgründer, Torsten De Riese, gab kürzlich auf der DJV-Tagung “Besser online” in Mainz Einblicke in die Arbeitsweise der Verifizierungsspezialisten. Einer der wichtigsten Schritte ist eigentlich gutes altes Handwerk – mit dem Unterschied, dass es heute viel mehr Wege dorthin gibt: Finde die Quelle. Von wem stammt das Foto der Explosion? Wer hat das vielfach geteilte Video von dem Anschlag ursprünglich ins Netz gestellt? Den Urheber ausfindig zu machen sei entscheidend, um die Authentizität einschätzen zu können. Erst dann kann mit gezielten Fragen die Glaubwürdigkeit geprüft werden: Wer ist die Person, was hat sie mit dem dokumentierten Geschehen zu tun, warum war sie am Schauplatz? In welcher Straße, welchem Gebäude, in welchem Stockwerk hat sie sich aufgehalten? Zu welcher Tageszeit ist das, was auf den Bildern zu sehen ist, angeblich passiert? Die Antworten darauf werden mit anderen Informationen abgeglichen, etwa den Metadaten des Materials, einem Blick auf die Gebäude via Google Street View oder auch auf den Stand der Sonne zum Zeitpunkt der Aufnahmen.
Ein weltweites Netzwerk hilft dem Newspoint-Team bei der Verifizierung: Kontaktleute in Krisenregionen gebe wichtige Hinweise, vom Einschätzen der Sprache, vielleicht eines regionalen Dialekts, über aktuelle Ortskenntnisse jenseits der Möglichkeiten von Street View bis hin zu der simplen Frage, ob die Explosion, die auf einem Foto zu sehen sein soll, tatsächlich in der fraglichen Stadt stattgefunden hat.
Schließlich gibt es eine Reihe von Web-Werkzeugen, die bei der Beurteilung der Authentiziät helfen können, etwa eine umgekehrte Bildsuche über Tineye oder Googles Image Search, Tools zum Einschätzen von Twitter-Accounts wie twbirthday.com, zum Checken von Mailadressen wie verify-email.org oder zur gezielten Suche nach (öffentlichen) Facebook-Inhalten wie facebook.eccar.org .
Oder man fragt die wunderbare Wissensmaschine WolframAlpha, ob an einem bestimmten Tag und Ort tatsächlich so ein Wetter war, wie es auf einem Foto zu sehen ist.
Mitdiskutant in der DJV-Veranstaltung war Torsten Müller, einer der Mitgründer der Twitter-Kontextsuchmaschine tame.it (über die ich später noch schreiben werde). Ihn habe ich nach weiteren Werkzeugen gefragt, worauf er ergänzend diese Liste mit Verifizierungswerkzeugen zusammengestellt hat:
Am Abend der Mordattacke in Woolwich übrigens hatte sich Torsten De Riese mit den Verantwortlichen eines britischen Fernsehsenders über das Video gebeugt, auf dem einer der Täter sich mit dem Anschlag brüstet. Der wichtigste Schritt zur Verifizierung war getan: Die Person, die das Video gefilmt hatte, hat es dem Sender angeboten, und ein Team war rausgefahren, um das Material direkt aus dem Smartphone zu übertragen und den Urheber zu befragen. Der Film war also authentisch. Bleibt die Frage, ob es richtig war, ihn zu publizieren.