Tag 2 der re:publica: Die erste Veranstaltung auf meiner heutigen Agenda, der digitale Dorfplatz, ist hoffnungslos überfüllt. Schade, denn hier geht’s um die spannende Frage, was es eigentlich bedeutet, dass ein immer größerer Teil unserer digitalen Aktivitäten – vom Betätigen des Like-Buttons bis zum Aufruf zur Demo auf dem Tahir-Platz – auf den Plattformen privater Unternehmen stattfindet und nicht auf unseren eigenen.
Was hilft’s, die freundliche, aber bestimmt wirkende Helferin* an der Tür lässt niemanden mehr hinein.
Das spült mich das unversehens rüber in Saal 1, wo Tim Pritlove von seiner großen Liebe schwärmt, dem Podcast. Und verrät, dass er schon Anfang der 90er Jahre eine virtuelle Audio-Welt kreiert hat: Durch die Villa bewegte man sich sprachgesteuert per Telefon, unterhielt sich mit anderen Villanauten, die sich im selben Raum aufhielten, und konnte Trolle (die gab’s damals auch schon!) einfach auf stumm schalten. Richtungsweisende Lösung!
In den Vortrag von Jillian C. York gerate ich ebenfalls mehr zufällig, und auch das erweist sich als Glücksfall. Sie arbeitet für die Electronic Frontier Foundation und öffnet uns privilegierten Netizens den Blick für die Situation in Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas. Zensur, das ist da längst mehr als das Blocken von unerwünschten Websites. Das Regime im Syrien zum Beispiel twittert auch einfach mal mit – und versucht, den Hasthtag #syria durch eigene Tweets auf andere Themen zu lenken und letztlich unbrauchbar zu machen.
Die Sache mit den reichlich überfüllten Veranstaltungen wird nicht besser (man könnte auch formulieren: ich lern’s einfach nicht, mir rechtzeitig einen guten Platz zu sichern), und so bekomme ich von den “New directions of visual storytelling”, präsentiert von Ivan Sigal und Bjarke Myrthu, leider zu wenig mit. Der geschätzte Alexander Svensson hilft mir aber via Twitter auf die Sprünge und liefert mir die Namen der vorgestellten Tools, darunter zeega.org, eine HTML5-Plattform zum Zusammenstellen von Multimedia-Inhalten, den Video-Editor stroome.com und das vielversprechend aussehende Erzählwerkzeug storyplanet.com.
Bei Philip Banse und seinem kleinen Blogger-Talk lerne ich unter anderem Debora Weber-Wulff von Vroniplag kennen. Sie begründet, warum bei den ersten Untersuchungen einer Doktorarbeit im Wiki der Autor/ die Autorin erstmal anonym bleibt – und warum das im noch recht unklaren Fall Schavan nicht geklappt hat (der Name war nicht auf Vroniplag, sondern in einem Blog öffentlich gemacht worden): “Es geht nicht um die Person, es geht um den Text.” Bei den Universitätsstrukturen sei manches “verlottert” – Gutachter würden die Arbeiten oft gar nicht richtig lesen, weil ihnen schlicht die Zeit fehle. Ihre Forderung: Doktorarbeiten schon bei der Abgabe online stellen und so den Druck sowohl auf die Verfasser als auch auf die Universitäten erhöhen. Amüsante Anekdote am Rande: Manchmal, erzählt Debora, kommen Leute auf Vroniplag zu mit der Bitte, “doch mal die Doktorarbeit meines Vater zu prüfen.”
Ebenfalls im Bloggergespräch ist Raul Aguayo-Krauthausen, der Mann hinter wheelmap.org – einer auf Open Street Map basierenden Karte, auf der Nutzer die Zugänglichkeit von Orten für Rollifahrer verzeichnen. Krauthausen spricht aber eigentlich gar nicht mehr von “Rollstuhlfahrern und Fußgängern”, sondern von Behinderten und Noch-Nicht-Behinderten. Und er findet, dass auch (Noch-)Nicht-Behinderte ein Recht haben sollten, mit Behinderten zu leben. Jepp.
Bei den Foodbloggern lerne ich, dass Kochrezepte keinen Urheberrechtsschutz genießen (weiß Marion das?), und sehe die Kaltmamsell, deren Weinempfehlungen ich stets blind folgen kann, ohne es zu bereuen, endlich mal in echt. Für “How to be a data journalist” bin ich erstmals oben im ersten Stock, wo die Veranstaltungssäle nur durch eine Sichtsperre voneinander getrennt sind: nicht schön. Zu laut, zu störend ist die Nachbar-Session. Eine Neuigkeit bekomme ich trotzdem mit: datawrapper.de will Journalisten helfen, Daten mit wenigen Klicks zu Grafiken umzuwandeln. Für das schnelle Umwandeln eines Datenblattes und Einbetten der Grafik in die eigene Website sieht das brauchbar aus.
Der Republica-Tag endet, wie er begonnen hat: Ich finde mich in einer Veranstaltung wieder, die ich gar nicht auf dem Zettel hatte. @Kaltmamsell, @HappySchnitzel, @misscaro und @ruhepuls rezitieren – Spam. Poetry Spam: Ganz großes Kino und der bestmögliche Abschluss des zweiten Konferenztages.
Über Barrierefreiheit, einen eher enttäuschenden Vortrag über “Innovationslabore des Journalismus” und über die Social-Web-Offensive der Telekom schreibt Isabell; vom Twittern aus dem All berichtet Tanja.
* Eine von vielen, die für einen reibungslosen Ablauf der Konferenz sorgen – danke.
[…] Mo beschreibt ihre Eindrücke von der Re:publica 2012 auf http://www.dailymo.de. Tanjas Lieblingsvortrag 2012 war offensichtlich “Twittern aus dem […]