Trotz alledem

Nun, da die Helden meiner Jugend gerade einer nach dem anderen zu sterben scheinen, wird es Zeit, die alten Liederbücher herauszukramen, die auf Vinyl, mit den Kratzern und den großen quadratischen Umschlägen mit den eingehefteten Textseiten, in denen man früher stundenlang alle Textzeilen wieder und wieder gelesen hat, während die Platte im Hintergrund immer wieder von vorne lief. Und war seh ich da? Dass ich damals so genau wohl doch nicht hingeschaut haben kann.

Was ich nämlich nicht (mehr) wusste: Der Text von Hannes Waders Kampflied “Trotz alledem” basiert auf einem Gedicht eines alten Bekannten: Ferdinand Freiligrath, Schriftsteller und Publizist der Romantik und Zeitgenosse der Droste, schrieb es 1848 unter dem Eindruck der gescheiterten Märzrevolution. Hannes Wader hat ihn nur ein wenig umgedichtet.

Annette von Droste mochte Ferdinand Freiligrath nicht sonderlich. “Ehrgeizig und dabei ohne Takt und innere Bildung” fand sie ihn. Wenn einer mehr sein wollte als seine Fähigkeiten ihm erlaubten, so nannte sie das “Freiligrathisieren”. “Zu irgendeinem literarischen Amte, z.B. Redaktion et cet., soll er ja gänzlich unfähig sein”, lästerte sie.

Trotz alledem: Hier die erste Strophe vom Original – und die erste der Fassungen von Hannes Wader und Wolf Biermann.

Das war ‘ne heiße Märzenzeit,
trotz Regen, Schnee und alledem!
Nun aber, da es Blüten schneit,
nun ist es kalt, trotz alledem!
Trotz alledem und alledem, trotz Wien Berlin und alledem,
ein schnöder, scharfer Winterwind
durchfröstelt uns trotz alledem!

Hannes Wader:

Wir hofften in den Sechzigern
trotz Pop und Spuk und alledem,
es würde nun den Bonner Herrn
scharf eingeheizt trotz alledem
doch nun ist es kalt trotz alledem
trotz SPD und alledem
Ein schnöder, scharfer Winterwind
durchfröstelt uns, trotz alledem.

Wolf Biermann machte daraus:

Du gehst auf Arbeit und kriegst Lohn
und gibst dem Boss trotz alledem.
Dein Arbeitgeber nimmt ja bloß
er nimmt dich aus trotz alledem.
Trotz alledem und alledem
Trotz Partnerschaft und alledem
ein Boss bleibt Boss; er herrscht und rafft
und saugt uns aus, trotz alledem.