Die Tea Party muss leider ausfallen. Im Bostoner Hafen ist weit und breit nichts zu sehen von den Schiffen, auf denen laut Reiseführer der historische Akt des Widerstands gegen die britische Krone nachgespielt wird (1773 verkleiden sich einige Bostoner Kolonisten als Indianer, stürmen Schiffe der East India Trading Company im Hafen und werfen mehrere hundert Kisten Tee ins Wasser, weil sie keine Steuern für das Mutterland jenseits des Atlantiks zahlen wollen – Startschuss für den Unabhängigkeitskrieg). “Closed for renovation”. Trotzig erwägen wir, in einem der naheliegenden Geschäfte einige Teebeutel zu erwerben, um sie mit dem Ruf “No taxation without representation!” in die Massachusetts Bay zu schleudern, verwerfen dann aber nur den Gedanken.
The Boston Tea Party Ships & Museum sollte Etappenziel eines ausgedehnten Spaziergangs durch die Stadt sein, der am Boston Common, dem ältesten öffentlichen Park der USA, begonnen hat. Hier startet der Freedom Trail, eine mit roter Farbe aufs Pflaster gepinselte Linie, die an vielen Stellen durch rote Steine im Asphalt ersetzt worden ist. An manchen Stellen endet der Pfad unvermittelt am Zaun einer Baustelle oder führt auch mal direkt über eine hinweg, an anderen ist die Farbe bis zur Unkenntlichkeit verblasst – aber irgendwo findet man immer wieder den Anschluss. Den Blick auf den Boden gerichtet, traben Boston-Besucher vier Kilometer lang durch Downtown und kommen dabei an allen wichtigen historischen Orten vorbei, etwa dem Old South Meeting House, wo ein Rädelsführer namens Samuel Adams (nach dem ein hier gebrautes, aber vernachlässigbares Bier benannt ist) bei einer Protestversammlung das Signal für die Teekistenversenkung gegeben hatte. Oder dem Old State House, das stolz den Wolkenkratzern ringsherum zu trotzen scheint. Von seinem Balkon wird am 18. Juli 1776 die Unabhängigkeitserklärung verlesen, es beherbergt danach das Parlament, ist Markt, Handelsbörse, Rathaus und Sitz der Freimaurerloge.
Die Überreste von Gründervätern der Vereinigten Staaten liegen auf mehreren historischen Friedhöfen verteilt, sichtlich verehrt von den Amerikanern, die kleine US-Flaggen neben die verwitterten Grabsteine stecken.
Die vielen Piers, die ins Hafenbecken ragen, lassen sich wunderbar über den Harbor Walk erwandern. Nördlich des Boston Common liegt Beacon Hill, wo die Zeit stillzustehen scheint, und westlich, angrenzend an den Public Garden, der quirlige Stadtteil Back Bay, wo heute – am Labor Day – die Hölle los war.
Boston ist so recht nach dem Geschmack von Alt-Europäern wie uns. Überschaubar, vertraut, europäisch – mal mondän französisch (Back Bay), dann wieder fast dörflich englisch (Beacon Hill), hanseatisch mit stolzen Backsteingebäuden, italienisch im North End, amerikanisch in Chinatown oder im Financial District mit seinen Wolkenkratzern. Und voller ausgesprochen freundlicher Menschen. Und wohlgenährter … äh, Grauhörnchen im Boston Common.