Auf der anderen Seite der Tür ist ein anderes Leben. Zwei Treppen, dann die Haustür, die täglich viele Male mit einem lauten Rumms ins Schloss fällt, wenn eine meiner Nachbarinnen, einer meiner Nachbarn kommt oder geht.
Die Stadt pulsiert da draußen. Alles ist anders – der Rhythmus, die Dimensionen … Man gewöhnt sich erstaunlich schnell. An lange Öffnungszeiten, U-Bahnen im Fünf-Minuten-Takt. An das Nebeneinander von sechsspurigen Alleen und dörflichem Kopfsteinpflaster, von Wolkenkratzer und Fachwerk. Erstaunlich viele Grünflächen, verschwenderisch großzügig angelegt wie der Huth-Park, der immer mehr zu meinem bevorzugten Laufrevier wird, oder kleine, gemütliche Oasen wie der Bethmann-Park, sie behaupten sich mitten in der Stadt gegen den immer weiter ausufernden Asphalt, ebenso wie der Anlagenring, ein grünes, fünf Kilometer langes, unbebaubares Hufeisen rund um die Innenstadt, durch dessen östlichen Teil ich täglich zehn Minuten zur Arbeit radele. Bei schönen Wetter flanieren hier mittags Angestellte im feinen Zwirn, beißen in ein Brötchen und schlürfen ihren Starbucks-Kaffee – im Stehen, denn die Sitzbänke sind meist bereits belegt von den vielen Armen dieser Stadt.
All die Menschen. Anfangs sah ich nur eilende Japaner und Banker mit zunehmend tiefer hängenden Schultern. Inzwischen besteht die Stadt aus anderen Leuten. Die Jugendlichen aus der Schule bei mir um die Ecke, die um die Mittagszeit die Straße mit Leben füllen. Das Punkerpärchen von gegenüber, das im Sommer jeden Abend (irgendetwas) rauchend auf dem Balkon verbachte. Die verwitwete Nachbarin mit den kurzen grauen Haaren, die drei Stockwerke über mir wohnt – seit 45 Jahren, wie sie mir erzählt hat. Der Rentner unter mir, mit seinen sieben Berufen und sieben Leben. Die er mir ebenfalls erzählt. Täglich.
Die Verkäuferin in “meiner” Bäckerei, der Radioladen-Fritze, der meine Päckchen entgegennimmt – auch wenn er keine offizielle Annahmestelle hat – , die Bedienungen in den Kneipen und in dem kleinen Kino drüben auf der Berger Straße, die mir langsam vertraut werden.
Gegenüber ist jemand gestorben. Eine Entrümpelungsfirma rückt an, Stück für Stück tragen die Männer ein ganzes Leben auf die Straße. Innerhalb kurzer Zeit scharen sich immer mehr Leute um den herrenlosen Hausrat, wühlen in Koffern, inspizieren Lampenschirme, raffen an sich, was die Hände tragen können. Dabei wird hier doch gerade wieder der Beweis angetreten: Am Ende nehmen wir nichts mit.
Über all dem spannt sich, zuverlässig jeden Abend, ein Nachthimmel auf, der hier in der Großstadt so viel heller ist. Und doch wollen die Sterne nicht verblassen.
Wie wunderbar geschrieben. Poesie als sei’s ein Lied von Reinhard Mey; dicht, wahr und gefühlvoll. Und überhaupt: Hello again ;)
eine liebeserklärung an die große stadt am main. :-)
schön, wieder was von dir zu lesen!
Dafür sind RSS-Feeds wirklich gedacht: Dass man es nicht verpasst, wenn eine schreibende Seele wieder eine Blume öffnet.
Schön. Sehr schön. Danke.
Oh wie hübsch….. ein ganz anderer Blick auf meine Stadt!