Ein Jahr begleitet sie mich nun. Oder ich sie. Jeden Tag in diesem Jahr hatte ich mit ihr zu tun. Selbst wenn ich im Urlaub war, gab es hier täglich einen neuen Brief von ihr zu lesen. Sie hat mich zurück in die Lesesäle der Bibliotheken, in Antiquariate, zum Blättern in brüchigem Papier, zum Lachen und zum Heulen und nebenbei darauf gebracht, dass Goethe einen schwulen Enkel hatte, mir ein paar Minuten Ruhm, ein Jobangebot und den Grimme-Award beschert. Nun mag ich sie nicht sterben lassen, die Annette von Droste.
Sie ist jetzt 51 Jahre alt, sitzt krank in ihrem Zimmer auf der Meersburg am Bodensee, das sie kaum noch verlassen kann, und registriert besorgt den Lärm auf den Straßen, die Vorboten der Revolution von 1848. Sie weiß, dass sie nicht mehr nach Westfalen, nach Münster, ins Rüschhaus – dass sie nicht mehr nach Hause zurückkehren wird. Sie hat ihr Testament gemacht (nach dessen Wortlaut ich lange suchen musste). Fünf Briefe noch sind überliefert – dann ist Schluss, mit ihrem Leben und mit meinem Projekt.
Schluss? Och nööö! Ich zögere das einfach noch ein bisschen heraus. Fange von vorne an, durchwühle die frühere Korrespondenz, finde noch mehr Briefstellen, die zu lesen sich lohnen. Zum Beispiel diesen hier, den man sich unbedingt für schlechte Zeiten bookmarken sollte!