Alte Liebe II

Was zuvor geschah.

Levin Schücking, der Schriftsteller auf Freiersfüßen, fühlt sich von der Reaktion Luise von Galls ermuntert und setzt sein briefliches Werben fort. Aber an der Bedingung, die seine Auserwählte stellt – wer innerhalb der Siebenjahresfrist einen anderen Partner findet, solle aus dem “Treueversprechen” entbunden sein – hat er zu knabbern. Am 27. September 1842 schreibt er ihr:

Edle und verehrte Dame!

Ich hätte billiger Weise Ihnen rascher die Ausdrücke meiner Freude und meines Dankes für Ihr höchst überraschend gnädiges Handschreiben zu Ihren Füßen legen sollen: Warum ich es nicht getan, weiß ich selbst nicht, denn wenn das Herz voll ist, sind die Ausdrücke nicht schwer zu finden; aber ich musste erst eine hinreichende Anzahl Tage nachgrübeln, träumen und poetische Grillenfänge anstellen über Ihre lieben Zeilen, ehe ich auf den Gedanken kam, ich müsste auch darauf antworten.

Ihre Bedingung, meine Gnädigste, ist – erlauben Sie es, mindestens hart. Zwar bin ich mir bewusst, ein “sonderbarer, fürtrefflicher Gesell” zu sein, den kein andrer Ritter in den Augen seiner “Dame souverraine” aus dem Sattel heben sollte, wenn alles nach Recht und Vernunft ginge. Aber diese beiden höchst schätzbaren und die Welt zusammen haltenden Tugenden spielen eine höchst klägliche Rolle in so ätherisch zarten Verhältnissen, die das Sehen knüpft und eine “fancy” wieder löst: und da nach altem Sprichwort die Frauen veränderlich sind; da Sie, meine Gnädigste, die Gräfin Faustine jedenfalls mindestens einmal zuviel gelesen haben; da endlich, um im alten Testament zu bleiben, ja auch die sieben magern, ganz abscheulichen, höchst schäbigen Kühe Pharaonis die sieben edlen und schönen Tiere, welche vor ihnen aus dem heiligen Nil emporgestiegen waren, auffraßen, so habe ich nach allem dem die stete Gefahr vor Augen, auf die schmählichste Weise von einem ganz magern, höchst abscheulichen Wiener Kavalier wie ein gebacknes Hähnl verspeist und aufgefressen zu werden: Sans comparaison.

Aber was soll ich tun? Müssten nicht die Gesetze, welche Sie geben, mir unverletzlich und heilig sein? Ich habe nur die Hoffnung, durch treuen Ritterdienst Sie so weit zu erweichen, dass Sie den alten Bund, wie er jetzt zwischen uns besteht, aufgeben und einen neuen Bund errichten, der ohne Bedingungen ist. Dann kommen wir also aus dem alten Testament heraus und bilden ein paar christliche Eheleute: was meinen Sie, sollt es nicht gut sein, damit zu eilen? …

Lassen Sie auch mich jetzt zum vollen Ernste übergehen. Ihr lieber Brief hat mich ganz außerordentlich gefreut. Aus dem Wenigen, was ich von Ihnen las und erfuhr, schaut mich ein feines, zartes Seelengesicht an, aus dessen einem Auge der Gedanke späht, während aus dem etwas träumerisch geschlossenem andren die Liebe suchende Blicke in die Welt aussendet, die halb erst verstanden, halb Rätsel vor ihm liegt, ich sehe den scheuen, rasch wiederholten Wimperschluss dieses Auges – und die ganze Physiognomie, wie ich sie mir ausmale, spricht mir von einem inneren Reichtum, der nichts einem männlichen Geiste nachgibt, während sinnige Tiefe und das unangetastet bewahrte weiche Frauliche sich über den Mann stellt. Bin ich nicht glücklich, so eine Quelle mein nennen zu dürfen – natürlich nur in meinen Träumen – , woraus vereinigt das sprudelt, was man sich sonst im Leben stückweise dürftig hier und da zusammen holen muss? Ich meine Nahrung für den Gedanken und für die Liebe.

Sie sind Schriftstellerin und doch auch poetische Frau; eine seltene Vereinigung! Gemüt, Sehnsucht, Tiefe, originale Kraft, ein Air de Hautevolée, fließende Locken, das alles in eine Kasawaika gewandet, es muss entzückend sein und wie ganz dazu geschaffen, einen armen vernünftigen Pädagogen zu einem “Hofmeister in tausend Ängsten”* zu machen.

In diesem Augenblicke jedoch noch gefasst und meiner selbst Herr genug, lass ich im Geiste mich auf das Knie nieder, um Ihnen die Hand mit aller der Grazie zu küssen, die ich nur meinem Lafleur** habe ablernen können, dem Mann einer galanteren Zeit: Sie müssen wissen, dass dies bei uns Norddeutschen noch eine unabgenutzte und zarte Huldigung ist. Mit rascher Keckheit dann eine gleiche, aber schüchterne Huldigung auf den mit weißem Samt überzogenen Thron Ihrer sinnenden Gedanken hauchend, frage ich mit stolzer Gewährungshoffnung Sie um die Erlaubnis, ob ich noch weiter einen Teil meiner springerigen und landläuferischen Einfälle Ihnen zu Füßen ausschütten darf: und ferner halb verzagt, ob Sie nun dann der Ihrigen einige dem Einsiedler schicken wollen, der in einer Wüste von Prosa versandet ist, wie der heilige Pachomius, und sehnsuchtsvoll nach der Taube ausschauen wird, welche ihm ein grünes Blatt aus dem Lande der Lebendigen, einen Zweig aus den Hainen der “Nachtigall” bringt. Bitte tuen Sie es; es gehört zu den guten Werken, die Gefangenen trösten!

*Anspielung auf ein gleichnamiges Lustspiel von Theodor Hell
**Held in einer von Schücking verfassten Novelle

Fortsetzung …

3 Kommentare

  1. Eine schöne Morgenlektüre:
    “…der in einer Wüste von Prosa versandet ist…”, die mich in ganz andere sprachliche Gefilde entführt, lese ich doch derzeit fast nur Fachbücher und Quellcode. Danke!

  2. Finde ich auch eine prima Idee, dass Du uns hier Einblick in diesen Briefwechsel gibst. Ob heute überhaupt noch jemand so schöne Briefe/Emails (natürlich in der heutigen Sprache) schreibt?

  3. Glaub ich schon, Liisa. Andernfalls wäre das ein herber Verlust…
    @Ina: Freut mich – genieß es!

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