Bilderverbot

Viele hätten es lieber nicht gesehen, das Bild vom entflohenen Vergewaltiger auf dem Dach der Dresdner Justizvollzugsanstalt. Ein Strafgefangener, der seine Wächter zum Narren hält, der sich feixend vor laufenden Kameras und klickenden Fotoapparaten inszeniert, während sein Opfer seiner Aussage im Prozess entgegenbangt. Eine Schande, ja – aber eine, die man nicht zeigen darf?

Man kann bedauern, dass in der Mediengesellschaft der Kampf um Aufmerksamkeit vor allem über visuelle Reize ausgetragen wird – zu ändern ist das nicht, und wer die Schuld daran allein den Medien zuschiebt, verdrängt den eigenen Hang zum Hinschauen. Die Gleichung ist so simpel wie wirtschaftlich einleuchtend: Geliefert wird, was verlangt wird.

Wir erwarten von Medienunternehmen mehr Moral als von jenen, die über ihren Fortbestand entscheiden. Zu Recht. Aber es bedarf schon verdammt guter Gründe, einen Vorgang, von dem es Bilder gibt, nicht zu zeigen. Journalisten, Sender, Verlage müssen sich jedesmal aufs Neue fragen, ob solche Gründe vorliegen. (Blogger auch.) Man kann darüber streiten, ob sich an Ziffer 11 des Pressekodex (Verzicht auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt und Brutalität) noch immer die Mehrheit oder womöglich nur noch eine Minderheit der deutschen Presse gebunden fühlt. Dann sollte man allerdings auch diskutieren, warum das so ist.

Die Vorstellung, wir hätten von dem unsäglichen Vorgang in Dresden zwar hören und lesen, ihn aber nicht im Bild sehen dürfen, ist absurd. Welche Gründe hätte es gegeben, den Mann auf dem Dach zwar zu beschreiben, ihn aber nicht zu zeigen? Das Opfer nicht noch mehr zu demütigen? Das war bereits passiert, als Stephanie von der Flucht ihres Peinigers unterrichtet wurde. Um dem Mann keine “Bühne” zu geben? Die hätte er auch durch reine Wortberichterstattung. Seine Wächter haben sie ihm verschafft.

Viele hätten es lieber nicht gesehen, das Bild vom entflohenen Vergewaltiger auf dem Dach der Dresdner Justizvollzugsanstalt. Mit Sicherheit gehören die sächsischen Justizbehörden dazu, der Minister, der Direktor der JVA. Sie alle hatten Gründe, sich zu wünschen, dass ihnen nicht ganz Deutschland beim Versagen zusieht.

Und eben das ist die einzige Botschaft, die mir diese Bilder vermittelt haben. Der Staat, hilflos gestikulierend auf einer Hebebühne. Der lächerlich kurze Arm des Gesetzes.

2 Kommentare

  1. Exakt so, wie du es beschreibst, ist es. Und die anschließende Pressekonferenz war eine Realsatire erster Güte [http://www.youtube.com/watch?v=Cm1eYyRsQoE].

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