Gespenstisch

Bei der Lektüre dieses Artikels über die Reaktion britischer Medienunternehmen auf Blogs und andere Entwicklungen im Internet musste ich mich mehrfach vergewissern, ob ich nicht in eine entlegene Ecke des Archivs geraten war. Aber nein: August 2006, steht drüber.

Die Autorin scheint mit Weblogs noch zu fremdeln: Während dieses Phänomen hierzulande weitgehend ignoriert wird, suchen renommierte britische Medien den Dialog, schreibt sie über ein Treffen von BBC und Reuters mit Bloggern. Dabei stürzt sich gerade ein deutsches Medienhaus nach dem anderen auf die Blogosphäre, von den Großen bis zu den Regionalzeitungen. Oft konzeptlos, meinetwegen, und häufig getrieben allein von einem Marketingmenschen, der in gewichtig besetzten Runden Stein und Bein schwört, dass es ohne nun mal nicht mehr ginge. Ähnliche Beweggründe, wie sie auch BBC und Reuters haben dürften.

Der Geist ist aus der Flasche, diese nicht mehr ganz frische Beobachtung lässt die Autorin den BBC-Chefstrategen Richard Sambrook orakeln. Nun, wenn selbst die ehrwürdige BBC im Umgang mit den Möglichkeiten des Internet tatsächlich nach göttlicher Offenbarung suchen würde, dann gute Nacht. Aber dass sie das tut, bezweifle ich stark. Wenn Reuters-Chef Tom Glocer sagt: Wir wollen nicht den Eindruck vermitteln, dass wir ein Monopol auf die Wahrheit haben … wir müssen einen Weg finden, auch Nachrichten von außen zu integrieren, dann meint er das eben nicht versöhnlich, wie der Text uns weismachen will. Sondern rein wirtschaftlich.

Reuters-Nachrichtenchef Paul Holmes redet Tacheles, wenn auch etwas vampirisch: Wir brauchen junges Blut, deshalb nehme man auch Material von außen. Der Begriff “user generated content” fällt nicht, aber das tut ja auch mal ganz gut. Es gibt ja sprachliche Alternativen: Billig produzierte Inhalte, zum Beispiel. Aber auch das fällt nicht.

Stattdessen wird ein amüsanter “Beleg” für die Notwendigkeit einer prüfenden Redaktion geliefert: “Ein Amateur hat uns ein Foto geschickt, das angeblich einen Hirsch vor einem Waldbrand in Dorset zeigt. Unsere Redakteure haben das Bild untersucht und herausgefunden, dass der Hirsch in Wirklichkeit ein Elch aus dem Yellowstone-Nationalpark war.” Den erfahrenen Reuters-Redakteuren könne man so schnell keinen Elch unterjubeln, meint Glocer: “Aber wer überprüft die Fakten der Blogger?” Ja, wer? Und wer stellt die Kompetenz von Journalisten in Frage, die sich angesichts all der bekannt gewordenen Fälle von Manipulation in den klassischen Medien derart einlullen lassen?

Jetzt wird es richtig abstrus: In dem Text darf Hollywoodschauspieler und Aktivist Richard Dreyfuss Alarm schlagen: “Die Schnelligkeit elektronischer Nachrichten, die eine Nation heute dazu verleiten kann, übereilt in den Krieg zu ziehen, halte ich für genauso gefährlich wie die Atombombe.” Das Internet als Kriegstreiber. Hat Mr. Bush seine fehlerhaften Informationen über die Massenvernichtungswaffen etwa aus Wikipedia bezogen? Und weiter: Eine neue Generation von gewaltbereiten Autisten drohe heranzuwachsen, unkt Richard Dreyfuss. “Es ist einfach, einen Krieg zu entfachen, aber schwierig, den Frieden zu wahren. Denn Frieden, das bedeutet, die Kontrolle zu behalten”, sagt er. Mal abgesehen davon, dass wohl die wenigsten Autisten gewaltbereit sind: Hier spricht der Mann am Ende doch noch aus, um was es geht: Kontrolle.

Darum geht es auch Glocer: Der befürchtet (sic!), dass sich Blogs auf die Demokratie auswirken , schreibt die Autorin. Die Bürger hätten das Gefühl, dass die Politiker ihre Wählerstimme nicht genügend würdigten. “Deshalb versuchen sie, sich jetzt in ihren Blogs Gehör zu verschaffen”, sagt der Reuters-Chef. Wirklich zum Fürchten, diese Vorstellung. Für Politiker wie für Medien.

Ein letzter Griff noch in die Psychokiste: Längst leben viele Menschen nur noch in ihrer eigenen Blogosphäre. Immer mehr Internetnutzer lesen nur noch, was sie selbst geschrieben haben, oder beziehen ihre Informationen ausschließlich von anderen Bloggern, behauptet die Autorin. Ob sie das von Herrn Dreyfuss hat?

3 Kommentare

  1. Ich hab überhaupt keine Lust zu googeln und hier entsprechende Gegendarstellungen und -studien zu finden. Wie soll ich sagen, du zeigst, wie was wirklich gedacht wird.
    Das ist 5 Jahre zurück, unflexibel, die Realität nicht wahrnehmend = mit diesem Wissen/Einstellung ohne Änderung bankrott in spätestens 5 Jahren.
    Könnten wir doch drüber schmunzeln statt sich aufzuregen :o)

    Viele Grüße

  2. Zuvor könnte missverständlich sein, merke ich jetzt erst nach dem Post.
    Du zeigst, was gedacht wird ist ein Dankeschön für deinen intelligenten Beitrag.
    Bankrott gehen die, die prüfende Redaktionen im etablierten Sinne bevorzugen. Bestes Beispiel für eine “Null-Lösung” = Stern-Vize Jörges.

    Viele Grüße

  3. Hmm.., keine Blumen, keine Torte, keine Glückwünsche?
    Kein Wunder – ist ja auch kein Gabentisch hier zu finden.
    Trotzdem alles Gute zum Geburtstag Mo.
    Einen schönen Tag und gaaanz viel Sonne.

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