Wird dies das erste Mal sein, dass Bewohner von “verfeindeten” Ländern miteinander im Gespräch bleiben, während Raketen fallen?, fragt Lisa Goldman und erzählt in ihrem Blog von dem Abend, an dem sie mit einem Libanesen chattete – sie in Tel Aviv, er in Beirut, wo gerade Raketen niedergingen.
Tatsächlich sind diesmal – zum ersten Mal? – zwei Länder betroffen, in denen vergleichsweise viele Internetnutzer leben. In Israel waren nach Zahlen der UNO Ende letzten Jahres 45 Prozent der Bevölkerung online, im Libanon mehr als 13 Prozent (zum Vergleich: Syrien 4,2 Prozent, Jordanien 11 Prozent).
Über Lila fand ich auch einen Artikel in der Jerusalem Post, in dem – wie in vielen anderen dieser Tage – über die Kommunikation von Bewohnern beider Ländern via Internet berichtet wird. Traditionelle Medienleute scheinen sich gerade die Augen zu reiben ob der Möglichkeit, auch in Kriegszeiten miteinander in Kontakt zu bleiben – und das, ohne dabei auf sie, die Medien, angewiesen zu sein! Der Mann in Beirut, der auf seinem Dach saß und die Raketenangriffe auf seine Stadt im Chat schilderte, war in der Lage, seine Gefühle und die Atmosphäre in einer menschlichen, persönlichen Weise zu schildern, die Zeitungsartikel oder Fernsehnachrichten nicht erreichen können, meint Lisa Goldman.
Ein israelischer Soldat, der bei Hello Lebanon – Hello Israel schrieb, er würde sich auch aus Blogs über die Situation jenseits der Grenze informieren, wird von einem Artikel zum nächsten gereicht – als Kronzeuge für die These, dass das Internet die offizielle Kriegspropaganda unterlaufen und “Feinde” verbinden kann.
Natürlich gibt es in den Blogs und Foren auch Wut und Schuldzuweisungen. Libanesen sind zornig, weil es zivile Opfer gibt und ihre Straßen, Brücken, Häuser zerstört werden. Israelis werfen den Libanesen vor, untätig gegenüber der Hisbollah zu sein. Wenn die Libanesen in Frieden leben wollen, sollten sie sich aktiv gegen die Anwesenheit einer Terrororganisation wie der Hisbollah in ihrem Land wehren. Ihr könnt nicht so tun, als würdet ihr nichts sehen, nicht hören, nichts wissen, wenn da eine giftige Schlange in eurem Hinterhof ist, meint Efi Cohen aus Tel Aviv.
Bevor der Krieg begann, las ich nur fünf bis zehn arabische Blogs, und versuchte in keinem davon zu kommentieren, um nicht zu stören. Ich konnte nicht wissen, ob diese Leute in ihrem Blog einen Israeli kommentieren lassen. Heute fühle ich, dass ich kommentieren muss, um beides zu tun – mein Land zu kritisieren und zu verteidigen, schreibt der israelische Anwalt und Blogger Jonathan Klinger, der, wie Lila erzählt, ebenfalls von einem TV-Sender zum nächsten gereicht wird. Ihn stört, schreibt er, dass der größte Teil der Medienberichterstattung sich nicht um die Gespräche dreht, sondern über die Blogger selbst; sie werden genutzt als Nachrichtenquelle und um die Situation zu kommentieren, statt dass man die Bedeutung ihrer Kommunikation analysiert. Die Medien hielten sich noch immer für Agenturen der Wahrheit, für diejenigen, die die einzige, die allgemeingültige Geschichte zu erzählen hätten.
Ein Teil der Bevölkerung von kriegführenden Ländern bleibt im Gespräch – Was bedeutet das? Ich bin nicht sicher, so Goldman. Viele dieser Blogger gehören zu der ausgebildeten, liberalen Elite ihrer Länder, und ich bin sicher, unter ihnen sind einige der künftigen politischen Führer. Wenn dieses jüngste nutzlose Kapitel von Tod und Zerstörung beendet ist, wenn die Wut verraucht ist, dann werden sie sich vielleicht an ihre persönlichen Kontakte mit ihrem “Feind” erinnern. Denkt darüber nach, was es bedeuten wird, wenn die nächste Generation von libanesische und israelischen Politikern und Führungskräften die Menschlichkeit der anderen persönlich kennengelernt haben. Sie werden nicht vergessen, dass sie sogar miteinander sprechen und ihre Gefühle austauschen konnten, während ihre Länder Krieg führten. Es ist nicht so leicht, jemanden zu töten, den man kennt, meint Goldman, vielleicht etwas zu optimistisch. Zwar fürchtet auch sie, dass sich auch in den Blogs feindliche Haltungen erhärten werden, je länger der Konflikt andauert. Zugleich aber scheinen viele der Diskutanten auf beiden Seiten der Grenze zu fühlen, dass sie miteinander im Gespräch bleiben müssen, wenn sie die Chance auf eine gemeinsame Zukunft haben wollen.
Links:
The place where we are right (Haaretz)
Online, tears and empathy for Israelis (New York Times)