Der Kerl war einer von diesen Macher-Typen. Einer, der kommt, sieht, das Kommando übernimmt – und wie selbstverständlich Dinge, die andere bereits getan haben, auf dem eigenen Konto verbucht. Normalerweise kommt mir beim Anblick von Männern dieser Art ein lockerer Spruch über die Lippen. Diesmal verbot das die Situation.
Er kam heute Nacht dazu, als wir uns an einer Landstraße um einen verletzten Radfahrer und dessen Freundin kümmerten. Fast hätten wir die beiden übersehen. Nur kurz war rechts am Waldrand etwas Weißes ins Scheinwerferlicht geraten, das sich bewegte. Es war das T-Shirt einer jungen Frau, die sich auf dem Radweg über ihren Freund beugte. Hätte er allein dort gelegen, wir hätten vermutlich nichts bemerkt.
Sie waren, wie auch immer, frontal mit ihren Fahrrädern zusammengestoßen. Hilfe brauchten beide: Der Mann war offenkundig verletzt, die Frau völlig verstört. Sie hatte, bevor wir dazukamen, nicht erkennen können, ob die Lache auf dem Asphalt das Blut ihres Freundes war. Später, beim Nachdenken über den Vorfall kurz vor dem Einschlafen, dachte ich, dass diese einsame Ungewissheit im Dunkeln wohl der furchtbarste Moment für sie gewesen sein muss.
Glücklicherweise war es kein Blut, sondern vermutlich der Inhalt einer Trinkflasche, die ausgelaufen war. Der Mann war ansprechbar. Er schrie schon bei leichter Berührung an der Schulter auf, wehrte sich aber vehement dagegen, den Notarzt zu alarmieren. Auch die Frau bat uns mehrfach, zunächst keine Hilfe zu holen – die Eltern ihres Freundes seien bereits auf dem Weg. Während Siebenstein trotzig zum Handy griff (aber aus einem Grund, den wir dringend noch klären müssen, nicht durchkam), stopfte ich dem Mann die Rolle Küchentücher unter den Kopf, die bislang in unserem Kofferraum ein unnützes Dasein führte, sammelte eine Brille von der Straße auf und lief mit dem Warndreieck los, denn das Ganze spielte sich gefährlich nah an einer Kurve ab. Wir sprachen ruhig mit beiden, trösteten mit Worten und Körperkontakt, so gut wir konnten, und blieben, bis wenige Minuten später die herbeigerufenen Eltern eintrafen – er die Ruhe selbst (was in dieser Situation ja keineswegs verkehrt ist), sie bleich vor Schreck. Ihr Auto ließen sie auf der Landstraße stehen, das Warnblinklicht eingeschaltet.
Der Mann agierte wie aus dem Lehrbuch: Kurzer Blick aufs Geschehen, Ansprache des Verletzten*, Handy, Notruf (diesmal ging’s – warum bei uns nicht?). Hilfe oder weitere Informationen von uns schienen ihm aber eher lästig. Seine Reaktionen klangen zunehmend genervt (Ja, schon klar. Wir schaffen das schon). Die Decke für den Verletzten schaffte seine Frau herbei. Sie war es auch, die uns beim Spenden von Trost und Zuspruch ablöste. Als ich losging, um mein Warndreieck einzupacken, behauptete er gerade in sein Telefon: Ich habe die Unfallstelle abgesichert.
Wir machten uns schweigend auf den Heimweg.
PS: Ein Online-Kurs Erste Hilfe ist wohl allenfalls geeignet als Vorbereitung für einen Auffrischungskurs in der nächsten DRK-Station, oder?
* Nachtrag: Siebenstein erinnert mich daran, was der Mann noch tat: Er versuchte, den Verletzten mit beiden Armen zu umfassen und hochzuheben, was den noch lauter schreien ließ.
Für die, die es nicht wissen, oder es einfach noch nie gebraucht haben:
Die 110 und 112 übers Handy funktioniert nur ohne die jeweilige Vorwahl.
Die bundesweit gültige Rufnummer für den Rettungsdienst (auch Krankenwagen) 1922 funktioniert nur mit der jeweiligen Vorwahl.
Ach je, so ein Kotzbrocken in so einer Situation :-/
Und bei der Internettelefonie, die ja mittlerweile losgelöst vom Computer über normale Telefone und Handys funktioniert und sich rasant steigender Beliebtheit erfreut, tun’s die bekannten Notrufnummern komplett nicht, da die verschiedenen Anbieter sich noch immer nicht über gemeinsame Standards haben einigen können. Technischer Fortschritt kann also auch Rückschritt bedeuten.
Gut zu wissen. Übrigens, der Auffrischungskurs wird gerade gebucht. Ich bin mir nämlich wirklich nicht sicher, ob ich mit einem Dreieckstuch noch umgehen könnte; und seit Jahren will ich so einen Kurs machen. Jetzt nehme ich den Vorfall zum Anlass, mal endlich den Hintern hochzukriegen.
Nimmste mich mit zum Kurs?
INhaber von Führerscheinen sollten dazu verpflichtet werden alle 2-3 Jahre einen Auffrischungskurs mitzumachen. Wer beruflich mit dem KFZ unterwegs ist, sollte das wenigstens einmal im Jahr machen.
Zuviel Aufwand? Na ja, ein Samstag im Jahr, ca. 4-6 Stunden Unterricht ist wohl nicht die Welt, oder?
Als ich vor kurzem einen Erste-Hilfe-Kurs mitmachte, waren da eine ganze Reihe von Leuten die ihren Führerschein teilweise über 30 Jahre hatten. Die wenigsten wussten aber wie man einen einfachen Verband anmlegt.
Allerdings finde ich die Erste-Hilfe-Kurse ein wenig arg realitätsfern. Da lernt man Mund-zu-Mund-Beatmung und Reanimation. Wenn ich mir überlege das ich ganze 3 Minuten Zeit habe um jemanden mit Atemstillstand wiederzubeleben, dann frage ich mich wie oft ich als Ersthelfer wohl in die Sitaution kommen werde.
Sinnvoller wäre es doch wirklich grundlegende Verhaltensregeln zu üben. Trösten zum Beispiel. Oder Gaffer wegjagen. Oder Aufgaben einteilen. Denn daran sind in unserem Erste-Hilfe-Kurs genauso viele Leute gescheitert wie am einfachen Verband anlegen.
Wenn ich dich recht verstehe, Ralf, sind diese Aspekte aber mittlerweile wenigstens Bestandteil eines solchen Kurses?
Bedingt durch Führerschein, Zivildienst, Übungsleiter- und Instructor-Ausbildungen etc. habe ich wohl im Laufe meines Lebens den EH-Kurs ein halbes Dutzend mal oder mehr absolviert. Und damit wohl mehr als die meisten Menschen in Deutschland – aber stressfest sitzt das trotzdem nicht.
Ich glaube auch, dass viel mehr als Unfallstelle sichern und Hilfskräfte alarmieren nicht drin ist… wie die auf die Idee kommen, dass man sich ungeübt an die Zählerei der Reanimation erinnern soll, ist mir schleierhaft.
Bestandteil? Na ja, kann man sehen wie man will. Kommt halt auf den Kursleiter an.
Ich kenne junge Leute vom ASB die den Schwerpunkt eher auf die zwischenmenschliche Hilfe legen und auf Reanimation&Co nicht so viel Wert legen.
Ich selber hatte einen etwas älteren Kursleiter der das Thema zwar kurz angesprochen hatte, aber nicht näher drauf eingegangen ist.
Ich denke das wichtigste was ich aus dem Erste-Hilfe-Kurs mitgenommen habe: 90% der Unfälle passieren im Haushalt. Da muss man sich schon mal die Frage stellen, wie Eltern ohne sich zu schämen noch in den Spiegel schauen können.
Demnach erweitere ich meine “Forderung” (*g*) von oben um den Punkt: Alle Eltern/werdenden Eltern müssen einen Erste-Hilfe-Kurs mit Schwerpunkt Spielplatzverletzungen besuchen.