Kälber wie wir

Nun rüttelt er wieder, der Gerhard. Am Zaun vom Bundeskanzleramt. Nur diesmal von der anderen Seite.

Ehrlich gesagt: Ich frage mich schon lange, was die Herrschaften eigentlich dazu treibt, sich in solchen Zeiten mit derartiger Vehemenz um einen Job wie diesen zu reißen.

Irgendwer muss es ja machen, könnte man meinen. Da ist was dran. Irgendwer muss ja Letzter werden. Hat Gracia doch gestern erst tapfer gesagt. Überhaupt, dieser Eurovision Song Contest mit seiner tiefen Symbolkraft: Ob auf dem Spargelfeld oder auf der Grand Prix-Bühne, wir merken erst, dass wir nicht der Nabel der Welt sind, wenn Osteuropa und der halbe Balkan schon an uns vorbeigezogen sind…

Ob Gerhard Schröder den Grand Prix gesehen hat? Und so gegen Mitternacht auf die Idee mit den vorgezogenen Neuwahlen kam? Motto: run statt hide?

Jedenfalls hat er es noch einmal geschafft, unser Medienkanzler: Am Tag nach der Wahl in dem Bundesland, dessen Verlust die sozialdemokratische Seele am allermeisten schmerzt, werden die meisten Titelseiten nicht dem Sieger Rüttgers, sondern ihm, Schröder, gehören. Ein Coup. Vielleicht sein Letzter.

Flucht nach vorn, und die anderen — aufgescheucht, unvorbereitet, offiziell ohne Programm und Kandidatin — dabei noch mal richtig alt aussehen lassen. Ein echter Schröder. Was auch sonst. Alles andere wäre elende Quälerei geworden, politische Windstille für anderthalb lange Jahre.

Und trotzdem: Die Wahl, wenn sie denn im Herbst 2005 kommen sollte, kommt zu früh. Wir hätten mehr Zeit gebraucht. Zeit, die wirklich neuen Konzepte zu diskutieren: Grundeinkommen. Maschinensteuer. Bürgerversicherung. Zeit, um andere Wege zu ebnen. Und Mut, sie dann auch zu beschreiten.

Stattdessen wird kommen, was wohl kommen muss: Wir werden die abwählen, die uns bewiesen haben, dass sie es nicht können, um die wieder zu wählen, die uns dasselbe bewiesen haben, nur ein paar Jahre früher. Wir lassen uns bereitwillig umgarnen, und wie eine betrogene Geliebte werden wir uns dem Schuft schließlich erneut an den Hals werfen – ahnend, dass er es wieder tun wird. Anscheinend können wir nicht anders. Wir glauben eben noch an Märchen. An Ritter, die uns erretten. Und an Ralph Siegel.

4 Kommentare

  1. ach ja. wäre es nicht so bitter, würde mich der letzte absatz geradezu schwärmen machen, so gut ist das gewählte bild, gratuliere..

  2. > Zeit, um andere Wege zu ebnen. Und Mut, sie dann auch zu beschreiten.

    Ja? Aber wer soll denn das machen?

    Und:

    > zu diskutieren

    Ich meine, diskutiert haben wir doch wohl lange genug!

  3. Gar nicht wurde das diskutiert. Weder zwischen den Parteien, noch zwischen denen und den Bürgern. Diskutieren, damit trat Rot-Grün damals an, gehalten haben sie es nicht und dafür werde ich sie auch mit abwählen, selbst wenn ich dafür meine Stimme an irgendwelche Tierfreunde oder Spatzenjäger schenken muss. Rot-Grün schreit nun seit 5 Jahren nach der Opposition, die haben sie sich redlich verdient.

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