Gestern auf 3sat: Eine einfühlsame Reportage des Schweizer Fernsehens über Menschen, die nach einem Unfall entstellt durchs Leben gehen. Darunter eine Frau, Anfang 40, deren Gesicht als Kind bei einem Unfall zerstört und nur mühsam wieder einem menschlichen Antlitz angeglichen worden war. Die erste Begegnung mit ihr im Film – bei mir hat sie ungläubiges Erschrecken ausgelöst.
Sie kennt das. Sie weiß, dass sie überall angestarrt wird. Sie kann das verstehen, findet es in Ordnung: Ist doch normal. Sie lacht. Und später sagt sie, sinngemäß: Ich falle eh schon aus der Reihe. Also kann ich das auch gleich nutzen und machen, wonach mir ist, ohne darauf zu achten, was andere dazu sagen.
Die Sendung wird heute wiederholt: Entstellt – Mit Narben durchs Leben, 3sat, 15 Uhr. Sie sollte Pflichtstoff sein für körperlich gesunde, nach schönheitschirurgischen Eingriffen strebende Girlies, deren wahres Problem im Kopf liegt.
19. Mai 2005
>Auch< im Kopf, denn "Aussetzigkeit" und ihr Gegenteil nicht anders, sind ja etwas sozial produziertes. Lifestyle ist eines der großen Geschäfte unserer Zeit, und der greift schon längere Zeit auf den Körper über. Solche "Märkte" werden aber nicht einfach biographisch spontan konstituiert, da steckt schon weit mehr dahinter.
Ach Mo, Du bist optimistisch. Ich glaube, bei einer bestimmten Sorte Leute löst so ein Schicksal nur ein großes Iiiiih aus, in der Gewißheit, “das kann mir nicht passieren”. Nicht jeder ist in der Lage, vom Schicksal anderer auf eigene Entscheidungen zu reflektieren. Die Schönheitswahn-Hysterie ist aus jedem rationalen Gleis gelaufen, da ist glaube ich nicht auf Einsicht zu setzen…
Ach übrigens… in Israel laufen eine Menge entstellter Menschen rum, aus leicht ersichtlichen Gründen. Einer der einflußreichsten Journalisten Israels, jeden Freitagabend in der zentralen Nachrichtensendung Israels zu sehen, heißt Amnon Abromovitch. Er ist im Krieg schwer verletzt worden, sein Gesicht ist verbrannt, die Nase künstlich, die Hände Stummel. Trotzdem winkt er heftig mit ihnen, wenn er argumentiert. Es hat seine Karriere nicht gehindert. Auch andere berühmte Israelis waren vom Krieg gezeichnet: Moshe Dayan auf einem Auge blind, Trumpeldor einarmig… der ist aber schon lange tot.
Doch hier sind auch die behinderten Sportler Volkshelden. Vielleicht, weil die meisten von ihnen durch den Armeedienst verletzt worden sind, und wir das Gefühl haben, wir schulden ihnen was und bewundern sie. Pinky Suaretz, der sein Bein verloren hat, ist sehr bekannt.
Andererseits herrschen Israel vor-moderne Zustände, was jede Art angeborener Behinderung angeht… da wird meist versteckt und ignoriert.
Ein Nachdenk-Thema.
Sehr interessant, diese Sicht über Israel. Und schön gesagt, ein Nachdenk-Thema!