Leichenfleddern

Arrogante Pauschaltouristen! Buchen zwei Wochen all inclusive, begegnen Einheimischen nur, wenn diese ihnen im Resort das Essen servieren, und schwärmen hinterher daheim beim Dia-Abend in Iserlohn über die “herzensgute Gastfreundschaft”!
Ungebildete Urlauber aus Pisa-Land! Wissen nicht, dass auf eine plötzliche Ebbe ein Tsunami folgt! Selber schuld!
Fettleibige Couchpotatoes! Wären sie nur ein wenig trainierter gewesen, dann hätten sie den Wettlauf gegen die Welle locker gewonnen!
Hysterische Radioprogrammgestalter! Setzen Songs ab, bloß weil sie Gefühle verletzen könnten!
Verlogene Betroffenheitsrhetoriker! Klagen doch nur so laut, weil Landsleute unter den Opfern sind!

Haben wir auch niemanden vergessen?

Am Tage 8 nach der Katastrophe haben die im Trockenen sitzenden Zeigefingerheber ihr Soll wohl erfüllt: Die to-criticise-Liste scheint endlich abgehakt.

Ich variiere mal Herrn Nuhr: Wenn man das große Glück hat, nicht in ein solches Inferno geraten zu sein – einfach mal Fresse halten. Oder so.

11 Kommentare

  1. Du hast die Berichterstatter vergessen, z.B. http://www.bildblog.de/index.php?p=412 Und genau diese BILD macht bei der Spendengala mit und drückt auf die Tränensäcke. Und du hast SAT1, N24 usw. vergessen, die untermalen die Urlaubsvideos mittlerweile mit dramatischer Musik ebenso mit trauriger Mucke – je nachdem, für was das Gezeigte herhalten soll.

  2. einfach mal fresse halten find ich gut. deshalb ist der hier, der kommentar, wie alle anderen, überflüssig, find ich.

    wie ist es anders, wenn ich gegenüber stehe den millionen toten der stalinismus-katastrophe in den 30er jahren?

    wie ist es anders, wenn ich mich den opfern anderer natur- oder gesellschaftskatstrophen gegenüber sehe? den toten juden, den toten kommunisten, den toten zigeugern, den toten schwulen, den toten der kriege? den toten der verkehrsunfälle – statistik jedes jahr? ungefähr eine million menschen sterben jedes jahr in der bundesrepublik eines mehr oder weniger “natürlichen” todes – wie komme ich klar mit dem tod?

    wie komme ich klar mit dem sicher passierenden sterben der mir lieben, oder zuletzt mit dem eigenen sterben?

    wie komme ich klar mit massenhafter ungerechtigkeit? ist es nicht ungerecht, dass die mir lieben sterben müssen? heute, morgen, irgendwann? vielleicht ohne dass ich sie hinreichend kennengelernt habe? wie stehe ich vor dem tod so hilflos da?

    und wie lebe ich?

    und wie beziehe ich mich ein in die rubriken von menschen, die du hier aufgezählt hast? gehöre ich da nicht selbst dazu? was bin ich? ein verlogener betroffenheitsrhetoriker? oder ein angetrunkener fettleibiger couchpotatoe?

    und was bist du?

  3. Ich meine im folgenden ausdrücklich nicht “A.” (schade, dass A. anonym ist):
    Natürlich habe ich Mos Kritik an der Kritik verstanden (das mal zu bestimmten unbestimmten Andeutungen anderswo) – ICH aber habe etwas anderes mit meinem Beitrag gesagt, das auch verstanden werden will.

    Hach, ja, wir alle wollen doch verstanden werden… :-))

  4. @ A.: Was bin ich?
    Noch immer fast sprachlos.
    Und – auch das ist wahr – nicht frei von vielem, was so schnell und gedankenlos benörgelt wird.
    Von meinen zwei Wochen am Indischen Ozean hab ich viele Tage am Strand verbracht. Ich lag in der Sonne, schwamm und schnorchelte in paradiesischen Buchten – das ganze klischeehafte Touri-Programm. Dass ich an anderen Tagen schwitzend Rücken an Rücken mit Inselbewohnern stundenlang in klapprigen Bussen hockte – Menschen mit Denkschablonen wird es nicht interessieren. Ein Topf.
    Über Tsunamis wusste ich nichts, dafür aber etwas über Zyklone, die jährlich über die Insel hereinbrechen. Vor dem Holz, das damals samt dem in tausende Stücke zerberstenden Fensterglas auf meinem Frühstückstisch landete, hat mich das auch nicht geschützt. Pisa lässt grüßen? Meinetwegen.
    Man kann eine Menge kritisieren. Auch all das oben Genannte.
    Man kann es aber auch einfach mal ausnahmsweise bleiben lassen, im Angesicht der Toten.

  5. Bei allem Respekt, “im Angesicht der Toten” sollte man vielleicht alle Kritik bleiben lassen, inklusive deines kritischen Eintrages “Leichenfleddern”.
    Wer aber kritisiert, sollte auch Kritik annehmen können.
    Weder du, noch ich, noch A. , noch sonstwer hat in diesem Zusammenhang “Recht” oder “Unrecht”. Und niemand sollte die Katastrophe für eigene Ziele benutzen – angesichts der Toten kritisiere ich aber genau die Benutzung.
    Ausnahmsweise solle man das bleiben lassen? Na, wann denn zukünftig ausnahmsweise… wo hört ausnahmsweise auf, wo fängt es an?
    Bitte, ich möchte nicht missverstanden werden: die Kritik an der Kritik sei dir belassen, die Kritik an der Berichterstattung sei mir aber auch belassen.
    “Ausnahmsweise” möchte ich nichts weglassen, denn das ausnahmsweise Weglassen hat schon zu vielem Übel in der Geschichte geführt.

  6. hi mo, ich verstehe deinen beitrag als einen von einer, die halt in diesem business steckt. nicht mehr und nicht weniger.
    derzeit greift sowieso alles zu kurz, wie könnte es anders sein. ich halte also jetzt meine fresse. auch wenn mein kopf voll ist.
    beste grüße
    engl

  7. Intellekt ist nur halb soviel Wert, wenn die Herzensbildung fehlt. Skeptiker und Zyniker wühlen immer wieder in der Vergangenheit: wieviele Tote gab es im Mittelalter während der Pest??Wo waren damals die großzügigen Spender gewesen??Und die Opfer der Stalinismus??
    Wie wärs es zur Abwechslung einmal nach vorne zu denken und sich einfach von Gefühlen leiten lassen? Ich sehe mir die Urlaubsfotos der fettleibigen deutschen (Pauschal) Touristen an und ich sehe nur das Leid und der Tod…sonst nix!

  8. P.S. die Bilder gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Mir ist das egal, ob sie manipuliert waren, um Mitleid zu erregen oder nicht. Eigentlich wollte ich mir einen neuen Zweitauto zulegen…Die Summer habe ich Flutopfern zukommen lassen!

  9. ich kann mich hier Gwen nur anschließen… mir sind diese bilder zutiefst nahe gegangen.

    und ich habe auch gesagt, das ich mich wahrscheinlich am strand gewundert hätte, wieso das wasser weggeht… das wort tsunami war bis zum 26.12. weder in meinem wortschatz noch in meinem gehirn und nein, ich schäme mich auch nicht dafür nun als ungebildeter urlauber aus pisa-land dazustehen, das ist mir egal.

    ich habe einfach daran gedacht wie viele menschen uns in meiner heimatstadt dresden geholfen haben als wir eine flutwelle erleben mussten – welche im vergleich zu heute eine pfütze war – . ich hatte die gleichen gefühle und war mir mal wieder meiner ohnmacht sehr bewusst nicht viel zu können…
    es ist einfach worte, sätze und reden auseinander zu nehmen und zu gackern… hätte, wenn und aber helfen den menschen nicht … weder den einheimischen noch den touristen aus aller welt … – wir haben es doch so einfach hier auf unserem warmen sofa…
    fragt manchmal einer was aus den kindern im iran geworden ist, die genau vor einem jahr ihr obdach durch das erdbeben verloren haben?… irgendwann geht alles wieder in die üblichen bahnen bis die nächste katastrophe ansteht… und bis dahin…
    ach …

Kommentare sind geschlossen.