Die Frau krümmt sich aus dem Boden vor einem Stand mit Tomaten. Sie liegt mit dem Rücken zur Kamera des Pressefotografen, das T-Shirt ist verrutscht, die Flecken auf der Jeans – Blut, vermutlich. Ein Helfer beugt sich über sie. Ein typischer Montagmorgen in Israel. Und ein typischer Arbeitsbeginn für mich.
Bei jeder Bombe zunächst die Einschätzung auf nachrichtliche Relevanz anhand der reflexartig abgespulten Fragen “Wo?” und “Wie viele?” (Tote, ersatzweise: Verletzte). Die ersten Tickermeldungen wie üblich spärlich, niemand weiß Genaues, aber alle wollen die ersten sein. Und so setzt Spiegel online über den wenigen dürren Zeilen die klickträchtige Überschrift “zahlreiche Opfer”, wenig später sind es vier Tote. Vier zu viel, natürlich, und gelogen ist es auch nicht, denn Opfer, das sind nicht nur die unmittelbaren Toten, nicht nur die Verletzten. Opfer sind auch, die daneben stehen, wenn eine Bombe jemandem die Beine wegreißt, und die die Bilder ihr Leben lang nicht mehr vergessen werden.
Die ersten Fotos kommen wie üblich geraume Zeit nach den ersten Tickermeldungen. Während sich die genannten Zahlen permanent ändern – meist werden sie nach unten korrigiert, Nachrichtenagenturen neigen dazu, die Opferzahlen anfangs zu hoch anzusetzen – tropfen die ersten Bilder ins System, üblicherweise von Reuters-Fotografen, die fast immer als erste am Ort des Geschehens zu sein scheinen. Der nächste Reflex: Überblick verschaffen, immer 30 Fotos gleichzeitig auf dem Schirm, im Thumbnail-Format: groß genug, um geeignete Bilder auszuwählen, klein genug, um nicht jedes blutige Detail zu erkennen. Das kommt früh genug, beim Vergrößern der Vorauswahl.
Die schlimmsten Aufnahmen werden aussortiert. Meist klicke ich sie schnell wieder weg. Manchmal aber auch nicht: Da bleibt der Blick an blutverschmierten Körperteilen länger als nötig hängen. Warum? Voyeurismus? Eher der Versuch, sich Gewissheit zu verschaffen, damit das Bild nicht hängenbleibt in einer Gehirnwindung wie eine vage Momentaufnahme, die den Weg heraus nicht mehr findet. Damit ich es erkennen kann und einordnen und anschließend vergessen.
Schaue mit diese Horror-Bilder auch immer an – gerade die, die nicht veröffentlicht werden. Als wollte ich unbedingt zu begreifen versuchen, was nicht zu begreifen ist. Als würden sie dadurch ihren Schrecken verlieren.
Manchmal denke ich, wir tun den Betrachtern doch keinen Gefallen, wenn wir die Bilder der Verstümmelten weglassen. Das Gerippe eines zerbombten Busses vermittelt doch nicht den selben Eindruck wie das Gerippe eines Menschen, an dem noch Fleischfetzen hängen. Die Tragweite der Geschehnisse wird deutlicher … (aber vielleicht würde man sich nur an sie gewöhnen, wie an alles andere auch).
Aber, sowieso, ich weiß: Niemand kann garantieren, dass diese Bilder nicht von Kindern gesehen würden. Und dass muss in diesem Alter noch nicht sein.