Chinesische Mauer

80 Millionen Internetnutzer. Und jeden Tag werden es 50.000 mehr. Was für deutsche Verhältnisse nach flächendeckender Vernetzung klingt, ist für China noch immer ein Randphänomen. 80 Millionen, das sind dort gerade mal sieben Prozent der Bevölkerung. Tendenz steigend. Und damit wächst auch die Sorge der allmächtigen Partei vor “regierungsfeindlichen Umtrieben”. Das Internet birgt Gefahren für die Diktatur, und die reagiert “konsequent und brutal”, wie Stefan Niemann, China-Korrespondent der ARD, beim Tag des Online-Journalismus in Frankfurt berichtete: “Ich wurde ich Zeuge des Baus einer noch größeren chinesischen Mauer.” An der staatlichen Firewall, die das Regime hochgezogen habe, hätten sich seither viele Chinesen verbrannt.

Das Reich der Mitte sei in Wahrheit ein Land der extremen Pole: Während die chinesische Jugend in Peking surfend und chattend in Internetcafés sitze (die man sich schon in Ermangelung an Kaffeekultur nicht wirklich als Cafés vorstellen dürfe, sondern als riesige Hallen mit mehreren hundert Terminals), gingen gleichzeitig auf dem Land Millionen von Bauern noch barfuß hinter ihrem Pflug her. Die 100.000 Internetbars seien eine Erscheinung, die sich auf die großen Metropolen wie Peking beschränke – viele Dörfer dagegen bekämen gerade erst Strom und Fernsehen. Die Trends in China seien häufig gegenläufig, so Niemann: “Nichts ist eindeutig im Reich der Mitte.”

Verlass aber sei auf die Geheimpolizei. Da selbst die Kommunistische Partei die Bedeutung des Web für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes nicht leugnen könne, reiche es nicht, einfach den Stecker zu ziehen. Stattdessen werde das Internet und seine Nutzung streng reguliert – mit einem aufwändigen Kontrollsystem.

Einem chinesischen Surfer dürfte es kaum gelingen, etwa die Website von Amnesty International oder einer anderen Menschenrechtsorganisation aufzurufen. Für Chinesen tabu seien beispielsweise auch die weltweit renommierteste journalistische Site BBC World, die Angebote von Nachrichtenagenturen wie Reuters, Websites von chinesischsprachigen Medien im Ausland, Seiten religiösen Inhalts oder solche, die “Schmutz und Schund” verbreiten. “Was das ist, sagt die Partei”, so Niemann. Experten schätzten, dass in China derzeit rund 19.000 Websites geblockt seien. Filtersoftware, zu deren Einsatz die staatlichen Provider verpflichtet seien, verhinderten darüber hinaus den Aufruf jeder Website, auf der bestimmte Begriffe – etwa Dalai Lama – vorkommen.

Nicht nur das Web, auch die Surfer würden überwacht. Der Ausweis eines jeden Besuchers einer Internetbar werde registriert, seine Wege durchs Web protokolliert und von der Geheimpolizei (die dafür 30.000 bis 40.000 “Cybercops” beschäftige) ausgewertet. Fänden sich von der KP als kritisch eingestufte Seiten auf der Liste, “dann bekommt man Besuch”, so Niemann. Nicht selten führe das zu einer Anklage wegen “regierungsfeindlicher Umtriebe” oder “Aufrufes zum Umsturz”. Für manche Internetnutzer ende die Surftour durchs Netz mit einer langjährigen Haftstrafe von sieben, acht oder neun Jahren, so Niemann: “Ein falscher Klick kann einen ins Gefängnis bringen.” Oder in ein Umerziehungslager. Und wer zum Beispiel eine als heikel empfundene Statistik ins Netz stelle, riskiere wegen “Verrats von Staatsgeheimnissen” gar die Todesstrafe.

Stefan Niemann, der seit kurzem wieder in Deutschland ist, lässt aber auch Optimismus durchklingen. Immer wieder gelänge es Usern, Löcher in der Wand zu finden – auch, wenn die Lebensdauer eines Proxyservers im Schnitt nur 30 Minuten betrage, “dann haben die das wieder dicht gemacht.” Dennoch: “Die rasch wachsende Zahl der Nutzer ist wie ein stilles Plebiszit. Das Internet kann auch China zum Besseren verändern”, so sein Fazit.

Zum Gegenlesen sei hier auch auf den Artikel Mauern im Kopf bei politik-digital verwiesen, dessen Autor den Finger auf die Wunde der Internetzensur in westlichen Länder legt und für eine Entideologisierung auf beiden Seiten plädiert.

Ein Kommentar

  1. Sehr interessanter Bericht. Auch die weiterführenden Links.
    Das ist der Ist-Zustand. In einem Land, von dem es weltweit vielleit eine handvoll Länder gibt. Abgesehen vom verlinkten Bericht, in dem dem Westen ebensolche Zensur unterstellt wird – dabei aber vergessen bzw. lediglich in einem Nebensatz erwähnt wird, dass es sich dabei zum größten Teil um Spione der Werbe- und Konsumindustrie handelt (was schlimm genug ist), und dass so etwas mit staatlicher Zensur nichts zu tun hat, ist der Bericht, ich will mal sagen, als “drüberstehender Zuschauer” spannend, denn die Frage steht im Raum, ab wann die Kontrolle (der hyper Staatsfirewall) eben nicht mehr funzt.
    Persönlich schätze ich, dass ab vielleicht in 5 bis 10 Jahren eine ganz andere Welt anbrechen wird, als wir sie heute uns auch nur vorstellen können (erstens kommt es anders und zweitens als man denkt).
    Negativ zuerst, wie immer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Chaina, Nord Korea oder auch der Iran noch länger als X sich von der Welt werden abschotten können. Zu rasant wächst nicht allein das Internet, sondern wachsen alle Möglichkeiten der Kommunikation.
    Ich finde, man sollte sich deinen tollen Bericht irgendwo in einen kleinen gelben Ordner archivieren, um ihn dann mit der Entwicklung zu vergleichen. Das könnte echt spannend werden…!

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