Das große Glotzen

Otfried Fischer brachte es auf den Punkt: “Das les ich nicht, weil es alle lesen. Ich les es erst, wenn es keiner mehr liest.” Der Schauspieler saß gestern in der ZDF-Sendung “Unsere Besten – das große Lesen” auf der Gästecouch wie ein trotziger Berg, der sich dem literarischen Mainstream tapfer in den Weg zu stellen versucht. Vergeblich: Der Geschmack der Massen rauscht auch an einem Otfried Fischer ungerührt vorbei und sorgte für eine Top-50-Liste, die so gut wie keine Überraschung bereithielt.


50 Bücher – und fast alle davon sind verfilmt worden: Vom Stechlin bis zum Medicus, von Siddharta bis zum Zauberberg, von Effi Briest bis zur Blechtrommel. Zu Recht: Weil sie großartigen Erzählstoff bieten. Na und? Schmälert das etwa das literarische Werk? Nicht im geringsten.
Nur: Ich würde darauf wetten, dass zum Beispiel die auf Platz 1 gehobene Trilogie von vielen, die sie dorthin gewählt haben, gar nicht gelesen wurde.
Beim “Herrn der Ringe” dürften die meisten doch eher die durchdringenden Augen von Frodo-Darsteller Elijah Wood im Sinn gehabt haben – und weniger die giftgrünen Bände im Schuber, die vor 20 Jahren bei uns im Jugendzimmer-Regal standen. Was aber wurde dann auf Platz 1 der angeblich besten (in Wahrheit: der beliebtesten) Bücher gewählt – die Erzählkunst eines John R. R. Tolkien? Oder die Special Effects aus den Warner Brothers-Studios? Erreicht Literatur nur noch dann ein großes Publikum, wenn sie vom Massenmedium Film adaptiert wird? Und wenn ja, ist das “Ih bäh bäh”? Oder einfach nur ein wünschenswerter (Um-)weg zum Buch?
Und, fürwahr, auch diese Frage beschäftigt mich: Geht dieser Johannes B. Kerner mit seiner Art, durch jedes Thema im Eilschritt durchzuhuschen und selbst für die interessantesten SchriftstellerInnen nur zweieinhalb banale Fragen übrig zu haben (die sie ihm kaum schnell genug beantworten konnten), noch jemandem so tierisch auf den Geist wie mir?

16 Kommentare

  1. JBK sowieso… Und Herrn Karasek kannst du getrost auch auf die Liste setzen… Ich fand die Sendung grauenhaft, einziger Lichtblick war noch Alice, die nun auch irgendwie permanent unterbrochen wurde… Aber das passt irgendwie alles zusammen…

    Ein schönes Wochenende und liebe Grüsse, kho

  2. Also die Trilogie von Tolkien hatte schon lange vor der Verfilmung viele Anhänger, so daß ich glaube sie wäre auch ohne diese weit vorn gelandet. Ob auf dem ersten Platz allerdings weiß ich nicht.
    Bis auf Alice fand ich die versammelte Runde auch eher grausam. Karasek sowieso und ehrlich gesagt Otfried Fischer kam mir schwer deplaziert vor, vielleicht saß er ja nur da, weil er dann später die Texte der drei Gewinner-Bücher vorlesen sollte? Naja, und JBK … ist eh ein Thema für sich.

  3. Ich geb dir Recht, Liisa: Der Herr der Ringe wäre mit großer Wahrscheinlichkeit in diese Liste gewählt worden auch ohne die Verfilmung. Vermutlich aber nicht so weit nach vorne. Die eingeblendete Statistik wies den größten Anteil bei den 14- bis 29-Jährigen aus – was weitgehend dem Kinopublikum entsprechen dürfte.
    Otfried Fischer schien sich in der Tat ziemlich unwohl zu fühlen in dieser Veranstaltung; von ihm kam aber eines der wenigen brauchbaren Statements, als er zur Unterstützung der Schriftsteller aufrief, die sich gesellschaftlich und politisch zu Wort melden. Nun ja, und Susanne Fröhlich – sie war mal amüsant, damals, als sie hier in Frankfurt beim HR anfing. Auch ihr letztes Buch ist ganz nett (jaja, ich geb zu, ich hab’s gelesen). Aber warum sie als “derzeit erfolgreichste Sachbuchautorin” vorgestellt wurde, erschließt sich mir nicht. Und Sinnvolles beizutragen hatte sie in der Sendung gestern auch nicht. Das blieb tatsächlich Alice Schwarzer vorbehalten…

  4. Interessant finde ich bei der ganzen Sache noch, daß etwas als “der Deutschen liebste Bücher” ausgegeben wird, obwohl nur 250.000 Deutsche überhaupt abgestimmt haben und es gibt ja doch etliche Millionen Deutsche. Da wird also die Meinung einer deutlichen Minderheit als allgemein gültig für “die Deutschen” ausgegeben. Immerhin hat man bei dieser Umfrage auch denen eine Chance eingeräumt, sich zu Wort zu melden, die nicht über einen Internetanschluß verfügen.

  5. @ Liisa: Miderheit – was ist das denn für ein Argument? Wie würdest du es denn sehen, wenn bei der nächsten Bundestagswahl die Wahlbeteiligung erstmals unter 50 % fiele? Ließest du dich dann von einer Minderheitsregierung regieren? Nix für ungut; ich fand die Show sogar sehr gelungen. So unterschiedlich sind die Meinungen ;-)

  6. Ich kann mich Georgs Meinung nur anschließen. Natürlich störte mich auch, dass JBK im Eilschritt durch die Sendung raste, aber man muss es erst mal schaffen, 50 Bücher in einer Sendung unterzubringen (über die Platzierung lässt sich streiten, aber schließlich haben die Wähler so entschieden, ob ‘Buch gelesen oder nicht’.
    Ich finde es auf jeden Fall wirklich gut, dass ‘Bücher’ es geschafft haben, eine Freitag-Abend-Sendung zu füllen!
    Man liest eh viel zu wenig!

  7. Ja, sie war mal gut, die Susanne Fröhlich. Heute empfinde ich sie – und ganz besonders in dieser Sendung – als ein Störfaktor. Mich hat dann der Fernsehschlaf zeitweise von ihr befreit.

  8. Ganz genau – das wäre eine Minderheitsregierung, Georg, und wir würden uns zu Recht darüber aufregen. Davon abgesehen: Liisa sprach von einem “interessanten” Aspekt und hat nichts weiter als (richtig) festgestellt: “Da wird also die Meinung einer deutlichen Minderheit als allgemein gültig für “die Deutschen” ausgegeben”. Warum eine solche bloße Feststellung Widerspruch bei dir auslöst – tja, das bleibt wohl dein Geheimnis. ;)

  9. @ Mo: Ganz einfach, weil niemand jemals behauptet hat, dass die 250.000 Menschen allgemeingültig für die Deutschen ausgegeben werden, und weil es eine Unterhaltungssendung war. Richtig, “U”, nicht “E” ;-))

  10. Das “E” hast mit deinem Vergleich zu demokratischen Wahlen doch du ins Spiel gebracht, lieber Georg! Im übrigen: “Die Lieblingsbücher der Deutschen stehen fest.” (O-Ton ZDF)

  11. Mein Gott, was für eine Aufregung über die böse Lese-Show im ZDF. Wie wärs’s gegen den GrandPrix der Eurovision? Da stimme ich auch nie mit ab, alles getürkt und gelogen, und sowieso *lol*
    Ich will hier kein Oberlehrer sein, das Thema Minderheitsregierung oder von Minderheit der Wähler gewählte Regierung ist auch noch offen *g*. Der Spiegel zickt mittlerweile auch schon rum (die Bildzeitung für den Intellektuellen) siehe bei Nicole und der Rest wird’s wohl demnächst auch tun – ich fand’s trotzdem gut im ZDF :-))

  12. Oh! Eine ungeahnte Sensibilität tritt hier zu Tage! ;) Fällt es dir so schwer, dass deine Begeisterung für die Mitwirkenden an dieser Show nicht von allen geteilt wird? Und ist dir entgangen, dass die hier getroffenen Feststellungen gar nicht die Idee der Sendung selbst betreffen? Vielleicht magst du mein Posting nochmal in Ruhe lesen?

  13. Hallo? Wo habe ich je begeistert die Mitwirkenden der Show gelobt? Ich habe, glaube ich, nicht einmal etwas zu den Mitwirkenden gesagt! Mir ist schnurz, wer jetzt wen in der Sendung mochte oder nicht. Ich schrieb über die Sendung. Oder magst du bitte meine Threads noch mal in Ruhe durchlesen ;-))

  14. “Ich schrieb über die Sendung”. Andere über die Mitwirkenden. Kein Wort indes über “böse Lese-Shows” (außer bei dir, Georg).
    Das eigentliche Thema aber war das Für und Wider von Literaturverfilmungen. Falls es dazu Meinungen gibt – ich würde mich freuen.

  15. bin ich froh, dass ich bisher immer erst das buch gelesen und dann den film gesehen habe… wenn man mal die chance hatte, sich seine eigenen figuren und das eigene universum zum buch vorzustellen, kann das kein film mehr “kaputtmachen”. umgekehrt schon. das schafft kollektive bilder und tötet damit die individualität. vereinfacht ausgedrückt.
    wobei die verfilmung von “gone with the wind” den inneren bildern sehr, sehr nahe kam. so nahe wie sonst keine andere. außer vielleicht die “verlorene ehre der katharina blum”, die ja auch lobend erwähnt wurde.

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