Und wenn sie doch wissen, was sie tun?

Auch, wenn manch gramzerfurchtes Politikergesicht uns in den Tagen nach den Landtagswahlen anderes suggerieren wollte: Der Wahlerfolg der Rechten in Sachsen und Brandenburg kam nicht wirklich überraschend. Der nachfolgende Schuld-Suchreflex ebenso wenig. Parteienforscher, Politiker, Psychologen und Redenschreiber zogen prompt das sattsam bekannte Erklärungsmuster “Sozialabbau -> Wut -> Protestwahl” aus ihren Schubladen. Ganz klar: Hartz wars. Oder, wahlweise: Ostdeutsche Befindlichkeiten, hohe Arbeitslosigkeit, geografische Nähe zu den neuen EU-Ländern, fehlende Bildung… Kreuzen Sie an, was Ihnen passt, Mehrfachnennungen sind möglich. Das Naheliegende scheint zugleich das Undenkbare zu sein, das man besser nicht laut ausspricht.

Was, wenn ein Teil, vielleicht sogar der überwiegende Teil der NPD/DVU-Wähler den Braunen ganz bewusst seine Stimme gegeben hat? Was, wenn sie nicht nur bei “Hartz muss weg”-Parolen klatschten, sondern auch, als NPD-Bundeschef Udo Voigt im Wahlkampf im sächsischen Mücka vor mehreren Tausend Zuhörern rief: Über die deutsche Frage muss noch geredet werden. Breslau, Danzig, Königsberg und Stettin sind deutsche Städte wie Berlin. Wir müssen zusammenstehen und wenn wir es schaffen, das nationale Lager zu einigen, werden wir es schaffen, das deutsche Volk zu einigen. Und dann werden wir die Verräter hinwegfegen, wie der MDR dokumentierte? Was, wenn die angeblich tumben Toren gar nicht (mehr) so tumb sind, sondern zum gleichen Bildungsbürgertum gehören wie beispielsweise die Spitzenfunktionäre der NPD?
Mit dem Hinweis auf die “Protestwahl” reden die etablierten Parteien ihre eigene Verantwortung für das Wahlergebnis herunter, plappern aber nur nach, was die Rechtsextremen vorgaben: “Diesmal Protest wählen!”, heißt eine Parole der DVU, die den Eindruck zu erwecken sucht, als wende sich ausgerechnet die Partei des Multimillionärs Frey gegen “die da oben”, obwohl es immer gegen “die ganz unten” (ausländische Flüchtlinge, Obdachlose, Behinderte, Drogenabhängige, Aidskranke) geht, schreibt Christoph Butterwegge heute in der FR. Und kommt zu dem Schluss: Sie wissen sehr wohl, was sie tun.

5 Kommentare

  1. Ich frag mich auch schon seit einer Weile, ob man wirklich daher gehen und das Ganze einfach unter dem Thema (dämliche) Protestwähler verbuchen kann. Was ich ebenfalls sehr erschreckend finde, ist, daß eben auch viele junge Leute so gewählt haben. Wären es alte Wähler, dann könnte man davon ausgehen, es sind ewig-Gestrige, die einfach nix begriffen haben (was immer noch traurig und schlimm genug wäre), aber wenn die Jungen wieder anfangen sich da “heimisch” zu fühlen, dann läuft etwas absolut falsch. Auch die Vorschläge, die schon laut wurden von wegen, laßt diese Parteien doch mal für eine Legislaturperiode mit ran, dann “entzaubern” sie sich selbst finde ich mehr als gefährlich. Genauso ist es ja damals zu A.H.’s Zeiten auch gelaufen und das war der Anfang vom Ende.

  2. “Sie wissen sehr wohl was sie tun…” – nein, das eben nicht. Dummheit weiß nicht, dass sie dumm ist. Wir müssen auch unterscheiden zwischen dem Nazi-Gewäsch von früher (da war alles besser), dem uneinsichtigen Großmachtsgehabe (Deutschland über alles) und dem Kollektiv, das identisch mit dem Stalinismus war (derGlaube an das Volk).
    10 % der Wähler heute bei nur 50 % Wahlbeteiligung sind zwei Handvoll Menschen – aber mit Sicherheit keinen Rechtsruck der Bevölkerung.
    Aufpassen – ja! Aber Panikmache nein!

  3. @ Georg: Ich fürchte die Problemlage ist doch etwas komplexer und mit den drei angebotenen Motivationshintergründen allein nicht zu verstehen (über Kollektiv=Stalinismus habe ich mich mit verlaub etwas gewundert-auch dieses Thema ist komplexer als eine derartige Formel). Wer mag kann sich den realen “Rechtsruck” gerne mal vor Ort in Sachsen, Thüringen oder z.B. im schönen Nordvorpommern ansehen. Die “Handvoll Menschen” dominieren hier sehr erfolgreich den öffentlichen Raum und bieten seit Jahren die einzig attraktive Jugendarbeit an. Jetzt ernten sie besonders bei den jungen Menschen das, was sie sehr geduldig und gezielt gesät haben. Das schlimmste ist dabei, dass Antipluralistische Parolen hier gar nicht mehr als ‘rechtsextrem’ wahrgenommen werden sondern als Äußerungen des normalen, klugen Volksempfindens. ‘Nazis’ sind die betrunkenen Schläger ohne Haare – die auch in der ostdeutschen Provinz nicht allzuviel Zustimmung finden. Die Herren Apfel und Voigt sind mit ihren Positionen dagegen in vielen Regionen absolut mehrheitsfähig. Die extreme Rechte hat eine Menge dazugelernt und hat längst nicht mehr nur bei ‘Dummen’ Erfolg. Es geht jedem/r Einzelnen ihrer Wählerinnen und Wähler darum, für sich ein Maximum an Profit zu erreichen, Begriffe wie Solidarität und Sozialgemeinschaft sind dagegen Megaout. Die neue Rechte punktet im Osten in der Regel mit schlichtem Sozialdarwinismus.Die große Zustimmung der Menschen unter 30 zieht sich dabei durch alle Bevölkerungsgruppen, ist unahängig von Schulbildung und derzeitigem sozialen Status. Wer diese Tatsachen nicht ernstnimmt verschärft das Problem.

  4. Danke für deine Einschätzung als eine, die beruflich täglich vor Ort mit dem Thema zu tun hat, Elle. Und herzliche Grüße bei der Gelegenheit!

  5. @ Elle Ich sagte ja: Aufpassen, ja, aber keine Panikmache. Vielleicht müssen wir uns einfach daran gewöhnen, dass wir wie in jedem anderen Land oder in jeder Gesellschaft einen bestimmten Prozentsatz rechter und extremer Menschen dulden müssen. Sie sind in Frankreich oder England genauso vorhanden wie bei uns.
    Die NPD bietet sehr viel Jugendarbeit an und zwar interessante aus Sicht der Jugend. Ich kenne hingegen keinen Beleg, wonach Jugendliche, die selbst mehrere Jahre diesen Rechten ausgeliefert waren, nun zwingend ihr Leben lang rechts wählen. Im Gegenteil, die Erfolge der NPD in Sachsen hat nicht mit dieser Jugendarbeit zu tun (dann wären bereits jahrelang solche Erfolge vorhanden gewesen), sondern die zum Zeitpunkt der Wahl aktuelle Empörung über Hartz IV brachte als PROTEST die NPD zu den fast 10 % Wählerstimmen. Dies ist in etlichen Umfragen nachzulesen.
    Ich gehe mit dir eine Wette ein: in 5 Jahren verschwindet die NPD aus dem sächsischen Landtag.
    Und ich möchte dich wirklich nicht ärgern, aber ich sehe nicht die große Zustimmung in der Bevölkerung, von der du schreibst. In den Wahlen spigelt sie sich jedenfalls nicht wider. Kann es nicht einfach auch sein, dass eigene Wahrnehmungen vom eigenen Standort aus unterschiedlich sind? Ich meine, wer im Wald steht, sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Vielleicht wird deine (natürlich auch meine) Einschätzung von deinem wie auch immer gearteten Umfeld in ihrer Objektivität beeinflusst?

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