Es ist eine alte journalistische Regel: Je näher das Ereignis, umso wichtiger wird es genommen. Anders ausgedrückt: Zwei deutsche Opfer unter den Toten einer Überschwemmung sind allemal schlagzeilenträchtiger als 400 ertrunkene Chinesen. Es sei denn, die Chinesen kommen im Hamburger Hafen ums Leben.
Wir neigen nun einmal dazu, die Dinge erst wahrzunehmen, wenn sie ganz nah an uns heranrücken. Nur so ist die Empörung zu erklären, die dem berüchtigten Hartz-Fragenbogen entgegenschwappt. Schon lange müssen sich Menschen hier zu Lande vor dem Amt ausziehen, schon lange bohrende Fragen nach Spargroschen, Wohnraum und Sexualpartnern beantworten. Es sind die gleichen Leute, denen die Volksseele immer wieder gerne kollektiv Florida-Rolf-Mentalität unterstellt: Die Sozialschmarotzer. Die Drückeberger. Die Verlierer. Der Bodensatz. In amtsdeutsch: Die Sozialhilfeempfänger.
Auf einen Fragebogen gedruckte Zumutungen – sie gingen völlig in Ordnung, solange sie nur die Verlierer der Gesellschaft trafen. Hartz IV aber seift die Rutschbahn ein. Demnächst kann jeder von uns in Nullkommanichts da unten ankommen und sich im Kreise jener wiederfinden, die uns zuvor allenfalls als unfreiwillige Hauptdarsteller von Social Soaps auf RTL interessiert haben. Jetzt steht das Wasser am eigenen Hals. Und jetzt erst wird um Hilfe geschrien.