Erinnerungen

Schachspielen, zum Beispiel. Das gehört zu den Dingen, die ich für alle Ewigkeit mit meinem Patenonkel verbinde. Stundenlang saßen wir zusammen im Wohnzimmer seines Hauses in Marburg vor dem Schachbrett. Ich hatte eigentlich eine Chance gegen den Professor. Wenn ich mal gewann, dann, weil er es wollte. Und ich tat, als merkte ich es nicht.

Aber auch: Die Traurigkeit, weil er nicht zu meiner Hochzeit kommen wollte. Seine Begründung, hammerhart, aber ehrlich, er war kein Mann der Vorwände. Meine stur verschränkten Arme über viele Monate, dann der Sprung über meinen Schatten, bevor der zu lang wird, um ihn noch zu überwinden, man kann das doch nicht einfach tun, lange nachtragen, diese Verbindung endgültig kappen, und wer weiß, wie lange man sich noch hat …

Der letzte Besuch, wie immer im Herbst, er kann nicht mehr aufstehen, bleibt der Kaffeetafel fern. Meine Frau hat es vor mir erkannt, lass uns nicht gehen, ohne dass du dich von ihm verabschiedet hast, sagt sie. Ich lege mich neben ihn aufs Bett, gebe ihm das Mitbringsel, ein kleines Foto-Buch mit den Schwarz-Weiß-Aufnahmen von ihm und seinem besten Freund, meinem Vater, wie sie, beide Mitte 20, mit den Fahrrädern bis nach Schweden radeln und zurückkommen und Familien gründen, der sie jahrzehntelang von dieser Heldentat berichten werden. Die beiden sind durch Höhen und Tiefen gegangen, haben sich zwischenzeitlich verloren und – mit ein wenig Nachhilfe von uns – im hohen Alter wieder gefunden.

Mein Patenonkel blättert durch das Album und lächelt still. So behalte ich ihn in Erinnerung.

Multimedia-Story: Romantiker und Raubtiere

Soeben erschienen: Teil 3 der Multimedia-Geschichten rund um meine Lieblingsdichterin. In den Nebenrollen: Ein Märchensammler namens Wilhelm Unbill (o.ä.), dem selbstbewusste Frauen nicht geheuer sind, eine fiese Stieftante und ein fürsorglicher Stiefonkel. “Romantiker und Raubtiere – Annette von Droste-Hülshoff im Paderborner Land”. 

Huch, schon 225!

Das ging ja schnell. Kaum hat man sich versehen, ein bisschen Literaturgeschichte geschrieben, ist von Rezensenten erst ignoriert, dann hofiert, von Katholiken vereinnahmt, von Feministinnen zu einer der Ihren erklärt, von etlichen Schüler:innengenerationen pflichtschuldigst abgehandelt und von der Post auf mehrere Sonderbriefmarken gedruckt worden, schon ist man 225 Jahre alt! 

Sicher ist es keineswegs, dass Annette von Droste-Hülshoff, die Dichterin, die Sie als unverbrüchlich treue Leserin dieses vernachlässigten Blogs ja sehr gut kennen, heute 225 Jahre alt wird – oder vielleicht doch erst übermorgen. Denn gesichert ist das Datum nicht. Manche Quellen datieren des Tag der Geburt auf den 12. Januar 1797. Offenbar hatte es ihrerzeit Korrekturen im Kirchenbuch gegeben.

Wie dem auch sei: Man kann Droste ja bekanntlich nicht oft genug feiern.

Aus Anlass des krummen Geburtstages, wann immer er nun exakt ist, hat Vera Lisakowski kürzlich im Kulturkenner über meinen Droste-Chatbot geschrieben. Auch Ihnen möchte ich ihn hier nochmals ans Herz legen, denn er hat, seit ich ihn vor knapp vier Jahren erstmals in die Welt entließ, eine umfassende Auffrischung erfahren. Eine Ahnung von den Windungen der Gesprächsstränge mag dieses PDF geben, mit dem ich den Bot geplant habe …

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12 Tools für digitales Storytelling

Ich durfte für Studentinnen und Studenten der Uni Münster ein kleines Seminar zum Thema Digital Storytelling geben: Wir haben uns eine ganze Reihe von Werkzeugen angeschaut, mit denen sich einfach, ohne Programmierkenntnisse und in den meisten Fällen kostenlos Inhalte im Netz interaktiv und multimedial präsentieren lassen – von Social-Content-Tools wie Pablo (Bildkacheln erstellen) und Headliner (Audios visualisieren) über Imagemaps mit Pictogon, Vorher-Nachher-Bilder mit Juxtapose, Zeitleisten mit TimelineJS und Storymap, interaktiven Grafiken mit Genially, 360-Grad-Ansichten mit SceneVR, Audio-Zitaten mit SoundCite und Chatbots mit FlowXo bis hin zur bildschirmfüllenden Multimedia-Reportage mit Pageflow und PictureStory

Hier ist das Paper zur Veranstaltung mit allen Links und vielen Beispielen: 12 Tools für digitales Storytelling (PDF). Annette von Droste kommt auch drin vor. :)

SoundCite JS: Texte mit Audios anreichern

Stimmt schon: Gut geschriebene Texte brauchen nichts weiter als eine Leserin mit Phantasie, um ihre volle Wirkungskraft zu entfalten. Und doch kann es sich lohnen, Texten noch mehr Tiefe zu geben – mit einer medialen Erweiterung durch Sounds. 

O-Töne, Geräusche, Atmosphäre können eine sinnvolle Ergänzung zu schriftlichen Inhalten im Netz sein. Meist begegnet man ihnen in Gestalt eines Audioplayers, der zwischen zwei Absätzen eingebunden wird und das Lesen somit unterbricht. SoundCiteJS bietet eine anderen Weg: Mit dem Tool lassen sich Töne nahtlos in einen Text integrieren. “Seamless inline audio” nennt die Werkzeugschmiede Knight Lab dieses Storytelling-Format.

Ein Auszug aus dem Droste-Gedicht “Die Lerche” mag als Beispiel dienen:

(…) Da krimmelt, wimmelt es im Haidgezweige,
Die Grille dreht geschwind das Beinchen um,
Streicht an des Thaues Kolophonium,
Und spielt so schäferlich die Liebesgeige.
Ein tüchtiger Hornist, der Käfer, schnurrt,
Die Mücke schleift behend die Silberschwingen,
Daß heller der Triangel möge klingen;
Diskant und auch Tenor die Fliege surrt;
Und, immer mehrend ihren werthen Gurt,
Die reiche Katze um des Leibes Mitten,
Ist als Bassist die Biene eingeschritten:
Schwerfällig hockend in der Blüte rummeln
Das Contraviolon die trägen Hummeln.
So tausendarmig ward noch nie gebaut
Des Münsters Halle, wie im Heidekraut
Gewölbe an Gewölben sich erschließen,
Gleich Labyrinthen in einander schießen;
So tausendstimmig stieg noch nie ein Chor,
Wie’s musizirt aus grünem Haid hervor.
(…)

SoundCite JS: Wie funktioniert’s?

Auf der Plattform SoundCiteJS sind die Clips im Handumdrehen erstellt, die Plattform erklärt das Prozedere in drei Schritten. Eigentlich sind es vier Schritte, denn vorbereitend solltest du …

1.) Sound publizieren: Die Audios müssen online verfügbar sein. Lade ein Soundfile – möglich sind die Formate MP3, M4A, WAV und Ogg, für das Ausspielen auf iOS wird .mp3 empfohlen – entweder auf deinen Webspace oder in deine WordPress-Mediathek und kopiere dir den Link zur Audiodatei in deinen Zwischenspeicher. In WordPress findest du den Link im Bearbeitungsmodus einer Mediendatei hinter dem Button “URL in Zwischenablage kopieren”.

2.) Sound laden: Öffne das Tool SoundCiteJS im Browser deiner Wahl, kopiere den Link zum Audiofile in das erste Feld und drücke “Load”.

3.) Clip erstellen: Ist die Datei geladen, bekommst du mehrere Optionen: Du kannst das Audio anhören, durch Setzen von Start- und Endzeit einen Ausschnitt auswählen (oder die ganze Datei nutzen), festlegen, ob und wie oft der Sound wiederholt wird und hinter welchem Wort in deinem Text er hinterlegt sein soll. All diese Optionen lassen sich auch nachträglich ändern – insbesondere die Wahl des Textabschnitts wirst du womöglich erst später treffen wollen; lass in diesem Fall einfach “listen” stehen. Ein Klick auf “Create clip” generiert den Code mit den Parametern, die du in diesem Schritt ausgewählt hast.

4.) Sound im Text einbetten: Kopiere dir den Embed-Code und setze ihn dort ein, wo du ihn brauchst: Im WordPress-Editor deines Beitrag zum Beispiel oder auf einer Website, deren Datei du in einem HTML-Editor bearbeitest. 

Der generierte Embed-Code lässt sich, wie oben erwähnt, leicht anpassen: Start- und Endzeitpunkt sind im Code vermerkt, ebenso, wie oft der Clip abgespielt werden soll (“data-plays”). Und natürlich lässt sich “listen” durch jedes beliebige Wort oder jeden gewünschten Satzteil ersetzen. Im Beispiel oben sieht der Code für das erste hinterlegte Audio so aus:

Grille 

Damit das Ganze funktioniert, fehlt allerdings noch ein letzter Schritt. SoundCiteJS liefert dir unterhalb deiner Clips unter dem Punkt “3” einen weiteren Code: Er lädt die benötigten Javascript-Dateien, die dafür sorgen, dass der Player tut, was er soll, und muss vor dem eigentlichen Embed-Code deines ersten Clips eingefügt werden. WordPress-User können einfach das zugehörige Plugin installieren.

Quelle für Sounds und Geräusche

Woher bekommt man nun Sounds, wenn man sie nicht selbst erstellen kann? Da lohnt ein Blick in die Hörspielbox. Sie bietet ein gut verschlagwortetes Soundarchiv mit mp3-Dateien – auch einige der oben verwendeten Geräusche entstammen hoerspielbox.de. Der Download ist kostenlos, allerdings wird um eine Spende gebeten. Und: Eine kommerzielle Nutzung bedarf der schriftlichen Zustimmung. Mehr dazu in den Nutzungsrechten.

Offiziell eröffnet: Droste-Lyrikweg zwischen Rüschhaus und Hülshoff

Vor sechs Jahren hörte ich erstmals von diesem Projekt: Der viereinhalb Kilometer lange Weg zwischen den beiden Wohnhäusern der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff bei Münster, dem Rüschhaus im heutigen Stadtteil Nienberge und Burg Hülshoff in Havixbeck, sollte zu einem Lyrikweg“ ausgebaut werden. Damals hatte ich die Strecke mit dem Rad erkundet und ihren ungefähren Verlauf – soweit das heute noch möglich ist – mit der Kamera festgehalten.

Seit wenigen Tagen ist der „Droste-Landschaft – Lyrikweg“ offiziell eröffnet. Er führt ziemlich genau dort entlang, wo auch ich ihn verortet hatte. Nun gibt es entlang der Strecke ein gutes Dutzend ausgebauter Stationen mit Droste- und Gegenwartstexten.

Hier mein Bericht für die FR: